Newsletter Transferkompakt Dezember 2019
Thema: Die Macht der Darstellung.

Der Mensch liebt das Einfache. Haben wir die Wahl zwischen simplen und komplexen Erklärungen, wählen wir in der Regel die angenehmere und einfachere Variante (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 141ff, 311ff). Die Beliebtheit der visuellen Aufbereitung komplexer Sachverhalte in einfachen Infografiken ist nicht zuletzt auf diese menschliche Eigenschaft zurückzuführen. Ergänzt wird dies durch die Tendenz, dass wir uns optisch aufbereitete Informationen besser merken können und wir ihnen eine höhere Glaubwürdigkeit zuschreiben (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 296ff) – Mechanismen, den alle Beteiligten im datenbasierten kommunalen Bildungsmanagement (DKBM) sich bewusst oder unbewusst zunutze machen und ein expliziter Mehrwert, der sich durch gezielte visuelle Aufbereitung von Informationen und Daten im DKBM erzielen lässt.

Spätestens bei der scheinbar einfachen Infografik wird jedoch klar, dass diese Medaille zwei Seiten hat. Denn erstens ist es grundsätzlich eine große Herausforderung, komplexe Sachverhalte einfach zu erklären. Und zweitens kann die grafische Darstellung die Gefahr der Täuschung erhöhen, sei es vom Urheber intendiert oder nicht. Denn Vereinfachung geht typischerweise mit der Reduktion von Informationen einher. Wir lassen uns sogar nicht davon abhalten, bei flüchtiger Betrachtung Fakten zu ignorieren. Es ist also generell eine verantwortungsvolle Aufgabe, Daten korrekt grafisch aufzubereiten. Bei sensiblen und bedeutsamen Daten, wie im Bildungs- und Sozialbereich, gilt dies in besonderem Maß.  

Die folgenden Beispiele sind zur Veranschaulichung frei erfunden. Die Darstellungen sind grundsätzlich korrekt und beziehen sich jeweils auf identische fiktive Datensätze. Bei den missverständlichen Beispielen wurden in zwei von drei Fällen die empfohlenen Grafiken von Excel genutzt. Die Idee zu diesem Artikel basiert auf dem Beitrag „Optische Täuschung“ im Magazin brand eins (Ramge/Schwochow 2019, S. 60-61).

Fall 1: (Größen)Verhältnisse darstellen

In diesem Beispiel wurden für einen Vergleich der Entwicklung der Zuwanderung von Personen mit Migrationshintergrund und der Gesamtbevölkerung die Zahlen gegenübergestellt. In der ersten Abbildung werden allerdings die Größen in der Darstellung nicht korrekt wiedergegeben. Dies ist insbesondere bei der Betrachtung von Flächen problematisch, da der Mensch Schwierigkeiten hat, diese Flächen ohne Anhaltspunkte in ein Verhältnis zu setzen. So vermittelt die obere Darstellung eine massive Zunahme an Personen mit Migrationshintergrund bei einem gleichzeitig deutlichen Rückgang der Gesamtbevölkerung. Die Darstellung ist deutlich erkennbar falsch, fallen diese Fehler weniger offensichtlich aus, fördert es die Gefahr falscher Interpretationen und Bewertungen. Die zweite Darstellung stellt die korrekten Größenverhältnisse dar.

Fall 2: Die Wahl des zeitlichen Ausschnitts

Je nach Datenlage kann sich der gewählte Ausschnitt sehr stark auf die wahrgenommene Aussage auswirken. So vermittelt der im ersten Diagramm gewählte Ausschnitt von 2012 bis 2019 einen deutlichen Anstieg von Schülerinnen und Schülern ohne Abschluss. Erweitert man den Ausschnitt, zeigt sich vor dem scheinbar deutlichen Anstieg ein Absinken der Personen ohne Schulabschluss. Die Darstellung verliert an Dramatik. Dies hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass in der zweiten Darstellung die Nulllinie, die als Bezugspunkt fungiert. Die isolierte Präsentation dieser einzelnen Schaubilder, beispielsweise im Schulausschuss, könnte zu sehr unterschiedlichen Interpretationen und Handlungsempfehlungen führen. Die Aufbereitung von Ausschnitten aus Datensätzen erfordert Kenntnisse über den gesamten Datensatz und bedarf einer Einordnung durch die Person mit diesem Wissen.

Fall 3: Information ausblenden und fehlende Nulllinie

In diesem Beispiel, das Ergebnisse einer Elternbefragung zur Einführung von Ganztagsschulen zeigt, sind formal keine Fehler zu erkennen, die Daten werden also korrekt wiedergegeben. Jedoch wird durch das Fehlen der Nulllinie auf den ersten Eindruck vermittelt, dass es eine eindeutige Entscheidung pro Ganztagsschulen gibt. Tatsächlich beträgt der Unterschied lediglich vier Prozentpunkte. Ergänzt man die im ersten Diagramm fehlende Angabe der unentschlossenen Personen, wird deutlich, dass es im Gegensatz zum ersten Impuls bei der Betrachtung der ersten Abbildung gerade kein deutliches Votum pro oder contra Ganztag in der fiktiven Erhebung gibt.

Fazit

Immer wieder werden Infografiken mit klaren Fehlern in der Darstellung veröffentlicht – sei es aus Kalkül, um Meinungen zu beeinflussen, oder aus Unwissenheit. Sicher ist, dass diese Unzulänglichkeiten bei flüchtiger Betrachtung Fehlinterpretationen befördern. Unter Berücksichtigung der benannten Tatsache, dass diese Darstellungen sich leichter speichern lassen und die Glaubwürdigkeit positiver bewertet wird, wird die Tendenz offensichtlich, dass Grafiken stark zur Meinungsbildung beitragen. Daraus folgt, dass mit der Darstellung von Ausschnitten aus Datensätzen eine Verantwortung einhergeht, diese sorgfältig zu analysieren und vorzubereiten sowie inhaltlich und grafisch korrekt wiederzugeben – ganz generell und im Bildungs- und Sozialbereich im Speziellen. Nur so kann die Infografik einen zentralen Beitrag zu einer sachlichen Diskussion leisten.

Autor: Til Farke, Transfermanager, Transferagentur Niedersachsen

Quellen:

  • Gerrig, Richard J.; Zimbardo, Philip G. (2008): Psychologie, 18. aktualisierte Auflage, München: Pearson.
  • Ramge, Thomas; Schwochow, Jan (2019): Optische Täuschung, in brand eins, Jg. 20, Heft 10, S. 120-121.