Newsletter Transferkompakt Mai 2018
Thema: Mehrwerte überregionaler Studien und kleinräumiger Analysen.

Das deutsche Bildungssystem über alle Bildungsbereiche hinweg erscheint in öffentlichen Debatten oft als schwerfälliger Tanker mit Entwicklungsrückstand und mangelhafter Leistungsbilanz. Groß angelegte Studien wie beispielsweise der Nationale Bildungsbericht, der seit 2006 im Zweijahresrhythmus erscheint, untermauern zunächst den Eindruck, kommen sie doch als dickes, auf den ersten Blick undurchsichtiges Sammelsurium von Zahlen, Daten und Fakten daher. Sieht man jedoch genauer hin, hat das Berichtswesen in den vergangenen Jahren einige Bewegungen im System mitangestoßen. So hat beispielsweise das schlechte Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler in internationalen Vergleichsstudien wie PISA mit dazu beigetragen, einen Handlungsdruck auf Bildungspolitik und -verwaltung auszuüben, der nun Trends in der Bildungsberichterstattung gesetzt hat.

Fortlaufende Studien: Überblick über Veränderungen

Regelmäßig wiederkehrende Berichte leisten einen Beitrag dazu, einen Überblick über die wesentlichen Veränderungen im deutschen Bildungssystem zu erhalten und deren Auswirkungen analysieren zu können. Beispiele für fortlaufende Studien sind die Ländermonitore, die von der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht werden, unter anderem für den Bereich der frühkindlichen Bildungssysteme. Darin werden seit 2008 in Länderprofilen Daten und Fakten zur frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung aufbereitet. Der Ländermonitor Berufliche Bildung untersucht vergleichend in den Bundesländern und im Zeitverlauf die Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der beruflichen Bildung, indem er auf vorhandene Daten des Bundesinstitutes für Berufsbildung und der Bundesämter zurückgreift.

Auch seitens des Bundes wird jährlich ein Monitor zum Thema berufliche Bildung veröffentlicht. Der aktuell erschienene Berufsbildungsbericht dokumentiert den Zustand des deutschen Ausbildungssystems, stellt berufsbildungspolitische Maßnahmen und Programme vor sowie die internationale Zusammenarbeit der beruflichen Bildung. Am 18. April hat das Bundeskabinett den Berufsbildungsbericht für 2018 beschlossen, den die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in einer Bundespressekonferenz vorgestellt hat: „Ich möchte, dass unsere Gesellschaft die vielfältigen Chancen in der beruflichen Bildung erkennt“, so die Ministerin. „Der aktuelle Bericht dokumentiert, dass sich die Ausbildungssituation gerade aus Sicht der Auszubildenden weiter verbessert hat. Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz waren für Bewerberinnen und Bewerber selten so groß wie im aktuellen Bewerberjahrgang. […]  Strukturelle Herausforderungen bleiben jedoch bestehen. Betriebe beklagen einen Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern und daher können immer mehr betriebliche Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Gleichzeitig findet eine größere Zahl junger Menschen keinen adäquaten Ausbildungsplatz.“  

> Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme
> Ländermonitor berufliche Bildung
> Berufsbildungsbericht

Kleinräumige Analysen für kommunale Fach- und Maßnahmenplanung

Zwar scheint die Feststellung der Ministerin auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein, schaut man jedoch in die Tiefe, sprich in regionale Gegebenheiten und demografische Entwicklungen, wird deutlich, dass diese differenziert betrachtet werden müssen. Hierzu dienen kleinräumige Analysen, die für die Arbeit innerhalb einer Kommune von konkretem Mehrwert sind. Für die Analysen werden Mikrodaten (Einzel- oder Individualdaten), die in den Kommunen zu verschiedenen Themen und in unterschiedlicher Form vorliegen, herangezogen. Diese Daten enthalten ein vielfältiges Analysepotenzial und können zu „tiefer gehenden Erkenntnissen und zusätzlichem Wissen über Zusammenhänge für strategische Entscheidungen, kommunale Fachplanungen sowie konkrete Maßnahmenplanungen führen“ (Bertelsmann Stiftung (2017): Kommunale Mikrodatenanalyse, S. 3), was mit aggregierten Daten nur unzureichend abbildbar ist.

Die Ausgabe „Kommunale Mikrodatenanalyse“ der Bertelsmann Stiftung beleuchtet genauer, was kommunale Mikrodaten überhaupt sind, wie sie im Rahmen der Mikrodatenanalyse als einem Bestandteil der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Projekt „Kein Kind zurücklassen!“ genutzt wurden und welche Erkenntnisse bzw. Handlungsimpulse sich daraus ableiten lassen. Ziel des Beitrages ist es, Kommunen zu ermuntern, sich vermehrt mit der Mikrodatenanalyse zu befassen. Denn Kommunen verfügen über eine Vielfalt aktueller statistischer Daten, die je nach konkreter Fragestellung für eine kleinräumige Sozialplanung und -berichterstattung eingesetzt werden können.

> Kommunale Mikrodatenanalyse

Differenzierte Perspektive mit hohem Erkenntnisgewinn

In vielen Bereichen der kommunalen Planung und Steuerung ist die kleinräumige Sichtweise mit Raumbezug eine Selbstverständlichkeit. Nimmt man nicht nur die räumliche Perspektive, sondern auch sozialwissenschaftliche Dimensionen (valide qualitative und quantitative Informationen) in den Blick, können diese sozialräumlichen Analysen einen großen Mehrwert für die eigene Erkenntnis, die Ermittlung von Bedarfen sowie die zielgerichtete und passgenaue Ableitung von Maßnahmen ergeben. Ebenfalls können mit einem differenzierten, kleinräumigen Fokus die Belange der Bewohner/-innen besser adressiert werden als mit einer gesamtstädtischen oder landkreisspezifischen Perspektive.

Wichtig ist dabei zu betonen, dass es nicht „den einen“ Sozialraum gibt, sondern innerhalb einer kommunalen Verwaltung aus verschiedenen Begründungen Sozialräume definiert werden. Die Begründungen für den Zuschnitt können sich von der Zuständigkeit, administrativ (zum Beispiel Wahlkreise), fachlich-organisatorisch (zum Beispiel Schulbezirke) oder aber nach Zielgruppen (zum Beispiel Kinder unter 6 Jahren im Quartier xy) ableiten. Sofern vergleichende Analysen notwendig erscheinen, können auf Basis kleinräumiger valider Daten definierte Sozialräume inner-kommunal (deutlich schwerer auch: intra-kommunal) verglichen werden und Referenzräume für einen Vergleich darstellen.

Verbesserte Steuerung durch sozialräumliche Daten

Die Publikation „Kleinräumige Datenbasierung, Planung und Vernetzung“ der Transferagentur Nordrhein-Westfalen gibt anschauliche Beispiele zur Nutzung kleinräumiger Daten für das Bildungsmonitoring. Dies ist der ganzheitliche Ansatz, den datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement auf der Basis von Kooperationen und kommunaler Steuerung zwischen den Bildungspartnern verfolgt. Ziel sollte es sein, die Chancengleichheit und die Bildungsbeteiligung zu optimieren. Viele Studien haben aufgezeigt, dass es eine enge Verknüpfung von sozialer Herkunft und Bildungschancen in Verbindung mit den räumlichen Disparitäten innerhalb von Kommunen gibt. Daher ist es nur folgerichtig, den Blick auf die Sozialstrukturen zu lenken, damit die Heterogenität der Lebensverhältnisse durch eine differenzierte Betrachtung sichtbar gemacht werden kann. Grundlage für eine bereichsübergreifende Bildungsplanung ist eine valide Datenbasis, die Transparenz schafft und Steuerungsinformationen liefert.

Auch die Transferagentur Mitteldeutschland hat in ihrer Handreichung „Kleinräumige Daten – Bildungsdaten gewinnen“ Praxisbeispiele zusammengetragen, die den Mehrwert kleinräumiger Daten aufzeigen. Mit einer sozialräumlichen Betrachtung nimmt das kommunale Bildungsmanagement insbesondere das lokale und regionale Bildungsgeschehen in den Blick, denn der Sozialraum ist immer auch ein Ort, an dem Bildungsprozesse (formal bis informell) ausgehandelt und vollzogen werden.

> Kleinräumige Datenbasierung, Planung und Vernetzung
> Kleinräumige Daten - Bildungsdaten gewinnen

Fazit: Überregionale Impulse lokal nutzen

Bundes- oder landesweite Studien geben zwar keine Details auf regionale Gegebenheiten preis, dienen aber den Kommunen als Orientierung und Einordnungsmedien in den Gesamtzusammenhang. Genauso wie es für bestimmte Thematiken sinnvoll sein kann, dass sich Kommunen mit anderen Kommunen, Regionen oder Bundesländern vergleichen, lassen sich aus überregionalen Studien Trends herauslesen, die im Detail für einzelne Kommunen interessant sein können – weil sie auf Unterschiede erst aufmerksam machen oder aber auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen hinweisen, die auch eine Relevanz für die jeweilige Kommune haben (Analyse-Impuls). Auch können derlei Studien kommunikativ und werbend als Standortfaktor oder aber in einem eher allgemeinen politischen Diskurs Wirkung entfalten (zum Beispiel: Kommune xy entwickelt sich in puncto Schulabsentismus besser als der Landesdurchschnitt).

Entscheidend im Hinblick auf Vergleiche (Warum? Mit wem? Auf welcher Basis? etc.) ist, sich intensiv mit den Merkmalen (Indikatoren), der Aussagekraft, den Grenzen der Aussage, der Erhebungsgrundlage und Methodik sowie vielen weiteren Aspekten auseinanderzusetzen. Missinterpretationen sind sonst leicht vollzogen. Auch bundesweite Studien von größeren Organisationen sind für die kommunale Ebene mit entsprechender Vorsicht und erst nach gründlicher Sichtung sinnvoll zu nutzen. Mitunter kann es hier durch die Form der Erhebung zu Fehldeutungen kommen (zum Beispiel Verzerrung der Quoten der Schulabschlüsse aufgrund unterschiedlicher Basis (Wohnort bzw. Ort der Beschulung)). 

Ein Mehrwert überregionaler Studien besteht darin, Themen und gerade auch die großen gesellschaftlichen Themen bei den lokalen Akteuren zu platzieren. Insbesondere wenn es um die Interpretation von Daten und den daraus resultierenden Handlungsempfehlungen geht, können Bildungsmonitoring und Bildungsmanagement mit ihren fachlichen Kompetenzen vermittelnd zwischen Verwaltung, Politik und Öffentlichkeit tätig werden. Hier bietet die Arbeit mit dem Rat, mit den Fraktionen und Ausschüssen sowie auch in weiteren Gremien und Netzwerken Möglichkeiten, Diskussionen und kommunale Vorgänge mit den aus den Studien hervorgegangenen Perspektiven, Thesen oder Fakten anzureichern und so „gefühlte“ Bedarfe zu objektivieren.