Newsletter Transferkompakt Mai 2020

Thema: Eine kurze Geschichte des Bildungsmonitorings (Teil 1).

Blicken wir zurück auf das Bildungsmonitoring der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, sagt uns das Gefühl, dass Bildungsberichterstattung sich in der Praxis unterschiedlich weiterentwickelt hat. „Wenig verwunderlich, schließlich sind auch die Ausgangsvoraussetzungen und die Zielsetzungen von Kommune zu Kommune anders“, wäre eine Aussage, die vermutlich wenig Widerspruch erzeugen würde. Schnell entstehen Meinungen, wie diese Entwicklungen konkret aussehen bzw. welche Unterschiede sich tatsächlich einstellen. So weit, so nachvollziehbar, doch inwiefern stimmen diese Aussagen überhaupt und lassen sich Meinungen mit Fakten untermauern? Anlass genug, den Fragen einmal nachzugehen, einen Blick auf die Historie des Bildungsmonitorings zu werfen und – ganz im Sinne der Datenbasierung – das zuvor beschriebene „Bauchgefühl“ zu überprüfen.

Teil 1: Historie und quantitative Aspekte der Bildungsberichterstattung

In diesem Beitrag möchten wir mit unserer Recherche zu den Anfängen der Bildungsberichterstattung, zentrale Impulse und Entwicklungen veranschaulichen und einer vorsichtigen Überprüfung unterziehen, ob bzw. inwiefern sich die Praxis in den vergangenen Jahren von ihrem theoretischen Ursprung emanzipiert hat. Selbstverständlich lassen sich Bildungsberichte und vergleichbare Publikationen nicht auf die Anzahl und Auswahl der Indikatoren, den Umfang der Publikation oder ähnliches begrenzen bzw. diese Variablen sollten nicht als Vergleichskriterium für eine abschließende inhaltliche Bewertung herangezogen werden. Bei diesem Artikel handelt es sich dementsprechend nicht um eine wissenschaftliche Arbeit, bei der alleine die Operationalisierung des Begriffes „Bildungsbericht“ den Rahmen dieses Newsletters und vielleicht auch Ihrer Geduld sprengen würde¹. Vielmehr geht es um einen vertiefenden Überblick, das Nachzeichnen von Meilensteinen und Entwicklungspfaden hin zu einem Status Quo des differenzierten kommunalen Bildungsmonitorings. In diesem ersten Teil blicken wir auf die Historie und quantitative Aspekte des Bildungsmonitorings in Deutschland bzw. in den Kommunen. Im zweiten Teil im Juli-Newsletter wird eine qualitative Perspektive mit einem klaren Fokus auf das kommunale Berichtswesen eingenommen.

Anfänge auf internationaler Ebene

Die Anfänge der Geschichte indikatorenbasierter Bildungsberichterstattung liegen zunächst auf internationaler Ebene. In den 1980er Jahren beginnt die OECD sich – insbesondere auf Initiative der USA – zunehmend mit der Thematik auseinanderzusetzen und entwickelt ein Indikatorenset zur Abbildung nationaler Bildungssysteme und relevanter Entwicklungen (OECD Handbook for Internationally Comparative Education). Obwohl eine Vergleichbarkeit mit dem kommunalen Berichtswesen bei genauer Betrachtung hinkt, sind die Herausforderungen allgemein betrachtet nahezu identisch: Wie lassen sich Bildungssysteme abbilden und vergleichen? Inwiefern lässt sich Bildungserfolg messen? Welche Datenbestände werden benötigt und welche sind tatsächlich vorhanden? Neben dem Aufwand für die grundlegende Konzeption ist diese Phase vor allem mit enormen Anstrengungen in der Erschließung von Datenquellen und der Herstellung von Vergleichbarkeit der Daten aus diesen unterschiedlichen Quellen verbunden. Im Jahr 1992 werden die ersten fortzuschreibenden Berichte der OECD „Education at Glance“ und „Education Policy Analysis“ veröffentlicht. Die beiden sich ergänzenden Publikationen erscheinen bis heute regelmäßig und können als Meilensteine der internationalen Bildungsberichterstattung betrachtet werden².

Berichte auf Bundes- und Landesebene

Auf nationaler Ebene kommt es erstmals 2003 zu einer Veröffentlichung eines Vorläufers des bundesweiten Bildungsberichtes. Im Folgejahr wird durch die Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen, ein kontinuierliches Berichtswesen auf nationaler Ebene aufzubauen. Dieser Auftrag wird an einen wissenschaftlichen Verbund unter der Federführung des Deutschen Institutes für Internationale Pädagogische Forschung vergeben, die „Autorengruppe Bildungsberichterstattung“ (DIPF). Der wohl wichtigste Impuls für den Aufbau dieses nationalen Monitoringsystems liegt allerdings erneut auf internationaler Ebene, in einer weiteren und weitaus bekannteren Publikation der OECD, der PISA-Studie. So gilt der sogenannte „PISA-Schock“ aus dem Jahr 2001, nach der Veröffentlichung von PISA 2000, der ersten von inzwischen sieben Erhebungen, als Auslöser dieser Bemühungen (Bundeszentrale für politische Bildung). Die Studie hatte nationale Defizite transparent gemacht und eine Kettenreaktion ausgelöst, die 2005 in eine Gesamtkonzeption der nationalen Bildungsberichterstattung mündet. Bereits ein Jahr später erscheint der erste nationale Bildungsbericht. An diesem Prozess wird sichtbar, welche Effekte Bildungsmonitoring auslösen kann. Trägt Bildungsmonitoring zu Transparenz und Vergleichbarkeit bei, kann es tiefgreifende Veränderungen in der Entscheidungs- und Handlungslogik von Organisationen und Institutionen anstoßen.

Die KMK beschließt zudem, dass auch auf Landesebene ein kontinuierliches Berichtswesen aufgebaut werden soll. Eine vollständige Umsetzung steht bis heute allerdings aus. Nicht alle Bundesländer haben einen Bericht veröffentlicht und die Unterschiede in Umfang und Anspruch variieren stark (Kommunalwiki der Heinrich-Böll-Stiftung). Dem bisher einzigen niedersächsischen Bericht von 2017 mit einem Umfang von 28 Seiten steht beispielsweise ein seit 2007 fortgeschriebenes Berichterstattungssystem in Baden-Württemberg gegenüber, in dem die Umfänge der allgemeinen Bildungsberichte bei 298 bis 429 Seiten liegen.

Meilensteine der Anfangszeit des Bildungsmonitorings:

  • 1970er Jahre: Zunehmender Diskurs zum Bildungsverständnis des Lebenslangen Lernens
  • 1980er Jahre: Gründung INES (Indicators of Education Systems) durch die OECD, angeschoben von den USA (Döbert et al. 2003, S. 11)
  • 1989: Veröffentlichung Condition of Education, dem nationalen Bildungsbericht der USA
  • Ab 1992: OECD-Berichtswesen (Education at glance und Education policy Analysis)
  • 2000: EU-Memorandum Lebenslanges Lernen
  • 2001: Veröffentlichung PISA-Studie Deutschland „PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich.“
  • 2003: Erster Vorläufer des nationalen Bildungsberichtes
  • 2003: Zweite PISA-Studie (Studien werden im 3-Jahresrhythmus durchgeführt bzw. veröffentlicht)
  • 2004: KMK-Beschluss Veröffentlichung nationaler Bildungsberichte im 2-Jahresrhythmus (Überblick zur Bildungsberichterstattung)
  • 2006: Erster nationaler Bildungsbericht
  • 2007-2008: Erscheinen erster Bildungsberichte auf Ebene der Bundesländer (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz (Vorstudie), Schleswig Holstein, ...)

Kommunales Berichtswesen und Förderprogramme

Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit eines möglichst kleinräumigen Ansatzes des Berichtswesens nimmt um den Jahrtausendwechsel an Fahrt auf. Erste Überlegungen zur Umsetzung regionaler und lokaler Berichte finden parallel zu den Entwicklungen auf Bundes- und Landesebene statt. Ein Jahr nach den ersten frei zugänglichen Publikationen der Bundesländer veröffentlicht der Landkreis Emsland im Jahr 2008 einen umfassenden Bildungsbericht nach dem Bildungsverständnis des Lebenslangen Lernens und ist damit die erste Kommune Niedersachsens und eine der ersten Kommunen bundesweit. Dieser Bildungsbericht basiert auf einem Konzept des Deutschen Institutes für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Wie schon auf nationaler Ebene ist die Arbeit des DIPF und der Autorengruppe Bildungsberichterstattung in dieser Phase prägend für die Ausrichtung des Bildungsberichtswesens in Deutschland. Im gesamten Bundesgebiet folgen vereinzelt weitere Beispiele für kommunales Bildungsberichtswesen.

Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung auf Bundesebene zeigt sich im Förderprojekt „Lernen vor Ort“ (LvO, Laufzeit von 2009 bis 2014), das diesem Ansatz folgt und die Gestaltung von Bildungslandschaften lokal und regional „vor Ort“ als Paradigma formuliert³.  Insgesamt 36 Kommunen wurden im Bundesgebiet gefördert. Fundament möglicher Entwicklungspfade ist ein Monitoring, das genau diese Bildungslandschaften zunächst abbildet, oder anders ausgedrückt: ein datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement. Bundesweit werden in diesem Zeitraum etwa 40 kommunale Bildungsberichte verfasst (DIPF Kommunales Bildungsmonitoring). Ein detaillierter Blick auf Niedersachsen zeigt, dass der Anstieg sich auch dort widerspiegelt. In dem Zeitraum von 2008 bis 2015 wurden von den vier niedersächsischen LvO-Kommunen insgesamt sieben Berichte verfasst, in den weiteren 41 Kommunen ebenfalls sieben Berichte (vgl. Abb. 1).

Diesen Zahlen folgend kann die Förderinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung als Katalysator für Aufbau und Verbreitung des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements angesehen werden. Waren die LvO-Kommunen in den Anfängen noch deutlich überproportional vertreten, steigt die Anzahl der Bildungsberichte auch nach Auslaufen des Programms weiter an, flächendeckend betrachtet durchaus stetig.

Der Erfolg von LvO und die Überzeugung, den Gedanken möglichst evidenzbasierter Entscheidungen im kommunalen Bildungsmanagement voranzutreiben, tragen ihren Teil bei zur Umsetzung der seit 2015 bis heute laufenden Transferinitiative. Mit den flankierenden Förderprogrammen „Bildung integriert“ und „Kommunale Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte“ nehmen inzwischen 93 Prozent der niedersächsischen Kommunen an Förderprogrammen im Kontext des DKBM teil (19 Kommunen am Programm „Bildung integriert“, 38 Kommunen am Programm „Bildung für Neuzugewanderte“). Zudem wird der Gedanke des Transfers von Best-Practice-Beispielen – entsprechend aus dem Namen der Förderinitiative hervorgehend – prominenter platziert bzw. dessen Bedeutung nochmal hervorgehoben. Bei der Betrachtung des Landes Niedersachsen besteht zudem eine enge Kooperation mit dem Programm der Bildungsregionen, durch dessen Geschäftsstellen und Mitarbeiter/-innen den Kommunen bis heute zusätzliche Ressourcen und Expertise zur Verfügung stehen. So ist beispielsweise „einer der ersten kommunalen Bildungsberichte“, der Emsländer Bildungsbericht, nicht zuletzt auch durch diese landesseitige Unterstützung realisiert worden (Deutscher Bildungsserver). Am Landesprogramm Bildungsregionen nehmen aktuell 34 der 45 niedersächsischen Kommunen teil (Kultusministerium Niedersachsen).

Meilensteine des kommunalen Bildungsmonitorings und der Förderlandschaft:

  • 2008: Erste kommunale Bildungsberichte: Augsburg, Emsland, Freiburg, München, …
  • 2009-2014: Lernen vor Ort (Förderprogramm des BMBF)
  • 2015: 15 umfassende Publikationen aus niedersächsischen Kommunen
  • 2015: Start der Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement
  • 2020: 34 umfassende Publikationen aus niedersächsischen Kommunen

Ein weiteres Element, das durch die Förderung bis heute vorangetrieben wird, ist der Einsatz professioneller Werkzeuge im Datenmanagement und zur Aufbereitung von Datenbeständen für den weiteren Diskurs. Der Ansatz, vermehrt sogenannte Data Warehouse-Lösungen im kommunalen Bildungsmonitoring einzusetzen, ist zum einen ein wichtiger Beitrag in Bezug auf die Professionalisierung und zum anderen eine enorme Erleichterung des Arbeitsalltages für die Nutzer/-innen. Die Zusammenführung der Daten an einem Ort entspricht somit auch im Datenmanagement dem Verständnis einer integrierten Bildungsberichterstattung.

Wie sich die Berichte im Laufe der Jahre verändert haben und ob dies im Einklang mit dem theoretischen Fundament geschieht, lesen Sie im Juli-Newsletter im zweiten Teil dieses Artikels, in dem es um die inhaltliche und qualitative Dimension der Bildungsberichterstattung gehen wird.

Autor: Til Farke, Transfermanager, Transferagentur Niedersachsen

Fußnoten und Quellen:

  • ¹ Für unsere Auswertung haben wir in einer Recherche alle niedersächsischen Publikationen, die sich einem allgemeinen Verständnis von Bildungsberichtswesen zuordnen lassen und uns aus dem Projekt bekannt oder öffentlich zugänglich waren, zusammengeführt. So sind beispielsweise auch themen- oder zielgruppenspezifische Analysen eingeflossen. Auf Vollständigkeit der Zahlen erheben wir keinen Anspruch.
  • ² Andere Formen des Berichtswesens entwickeln sich parallel, der Fokus wird bewusst auf die OECD gelegt. Weitere Beispiele für supranationales Berichtswesen stellen unter anderem Berichte der UNESCO und der EU dar.
  • ³ „In den Städten, Landkreisen und Regionen werden nicht nur zahlreiche bildungspolitische Entscheidungen getroffen. Vielleicht noch bedeutsamer ist, dass hier – vor Ort – Menschen beschließen, welche Bildungseinrichtungen sie besuchen, welche Angebote sie ihren Kindern machen, welche beruflichen Zusatzqualifikationen sie sich aneignen wollen, welche persönlichen Bildungsinteressen und sozialen und fachlichen Kompetenzen sie erweitern möchten. Ihnen gilt es, bessere Zugänge in ein überschaubares, aufeinander abgestimmtes Bildungssystem zu ermöglichen.“ Quelle: http://www.lvo.transferinitiative.de/index.php
  • Döbert, Hans, Eckhard Klieme, Matthias Rürup und Heinz-Elmar Tenorth (2003): Bildungsberichterstattung für Deutschland: Konzeption. Frankfurt, Main: DIPF.