Newsletter Transferkompakt März 2019
Thema: Partizipation in der Migrationsgesellschaft.

Aufgrund der zunehmenden Heterogenität und Vielfalt entwickelt sich die moderne Stadtgesellschaft auch immer mehr zu einer Migrationsgesellschaft. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund lag 2017 bei knapp 24 Prozent (Statistisches Bundesamt). Dies gilt es zu beachten, möchte man das demokratische System stärken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort weiter voranbringen. Ein wesentliches Grundelement stellt dabei die aktive politische Partizipation und Mitbestimmung dar. Die vorhandenen Formate müssen im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sein – ob mit oder ohne migrationsspezifischen Hintergrund (ohne deutsche Staatsbürgerschaft). Wie dies gelingen kann, zeigen wir am Beispiel des Projektes „Stadtentwicklung und Migration“ und der konkreten Umsetzung der Stadt Osnabrück.

Wird Partizipation als Beteiligung der Öffentlichkeit bei politischen Willens- und Entscheidungsprozessen verstanden, kommt aufgrund der gesetzlichen Bindung der Wahlberechtigung an die deutsche Staatsbürgerschaft den weiteren Formaten und hierbei vor allem den informellen Ansätzen eine zunehmende Bedeutung zu¹. Die zentrale Herausforderung dabei ist es, die heterogene Zielgruppe mit den Angeboten zur informellen Beteiligung tatsächlich zu erreichen. In der bisherigen Verwaltungspraxis ist die Umsetzung informeller Beteiligung bei Planungsvorhaben bereits gängig, die Zielgruppe der Menschen mit Migrationshintergrund konnte dort bisher jedoch nur wenig erreicht werden (Nationale Stadtentwicklungspolitik, Projektaufruf „Stadtentwicklung und Migration“).

Projekt „Stadtentwicklung und Migration“

Um das zu ändern, hat die Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Kommunen, die Nationale Stadtentwicklungspolitik², im Rahmen der integrierten Stadtentwicklung 2016 den Projektaufruf „Stadtentwicklung und Migration“ gestartet. Dieser richtet sich an städtische Akteure, die in Kooperation mit weiteren Partnern und der Stadtgesellschaft innovative Planungsprozesse zur Gestaltung der Integration von Zugewanderten initiieren.

Insgesamt sind zehn Pilotprojekte aus den Interessensbekundungen ausgewählt, die bis Ende 2019 durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) sowie eine assoziierte Begleitagentur in ihren Prozessen unterstützt werden. Die ausgewählten Pilotprojekte umfassen Städte verschiedener Größenordnung und liegen sowohl in städtischen und ländlichen Räumen. Sie alle initiieren Planungsprozesse zur Entwicklung von strategischen Konzepten, Handlungsprogrammen und Projekten zur Integration. Dazu nutzen die Pilotprojekte das Wissen und die Instrumente der integrierten Stadtentwicklung, entwickeln vorhandene Ansätze weiter und gestalten neue Lösungsansätze. Die Pilotprojekte gehen dabei auf eine Vielzahl städtischer Handlungsfelder ein, darunter Wohnraumversorgung und soziale Infrastruktur, Sprache und Bildung, Qualifizierung und Arbeitsmarkt oder Partizipation und bürgerschaftliches Engagement. Sie verfolgen hierbei eine integrierte Betrachtung und nehmen die gesamte Stadt mit ihren Quartieren zum Ausgangspunkt ihres Ansatzes.

Konkret heißt es im Projektaufruf: „Allen Pilotprojekten ist gemeinsam, dass Stadtentwicklung als eine Gemeinschaftsaufgabe verstanden wird. Sie arbeiten bei ihren Vorhaben mit verschiedenen Verwaltungseinheiten zusammen, vernetzen sich mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, binden die Bürgerschaft über Dialogprozesse ein und regen zu Eigeninitiative und Selbstorganisation an. Immer auch ist es das Ziel der Projekte, die Zugewanderten aktiv einzubeziehen, ihre Kompetenzen und Potenziale für die Gestaltungsprozesse vor Ort zu nutzen und somit eine Perspektive einzunehmen, die Migration als Ressource der Stadtentwicklung versteht.“  (Nationale Stadtentwicklungspolitik)

Alle Pilotprojekte im Überblick:

Stadt Osnabrück: Konzept Migration und Teilhabe

Die Stadt Osnabrück legt den Fokus auf das Handlungsfeld Partizipation mit dem Ansatz: „Die Zukunft der Stadt gemeinsam gestalten – Osnabrück macht sich auf dem Weg von der Willkommens- zur Anerkennungskultur und erarbeitet ein Stadtentwicklungskonzept ‚Migration und Teilhabe‘“ (Stadt Osnabrück). Ziel der Verwaltung ist es, Menschen mit Migrationshintergrund stärker in die Dialoge zur Zukunft der Stadt einzubinden und deren Kompetenzen für die gesellschaftliche, bauliche und wirtschaftliche Entwicklung Osnabrücks zu aktivieren. Dabei sollen die bereits bestehenden Strukturen und Instrumente, wie der Koordinierungsstab Integration, die Flüchtlingskonferenz oder die Datenbank Migration, mit dem Ergebnis der besseren Einbindung der Zugewanderten weiterentwickelt und ergänzt werden.

Das Gesamtprojekt ist untergliedert in die Bereiche Wissen schaffen (Baustein 1), Begegnung organisieren (Baustein 2) und Gestaltung ermöglichen (Baustein 3). Für den ersten Baustein wird durch eine detailliertere Analyse der Ausgangssituation ein differenzierteres Bild der Interessenslagen der Menschen mit Migrationshintergrund erarbeitet. Methodisch wird dies unter anderem durch eine Milieustudie und eine kleinräumige Sozialraumanalyse umgesetzt. So wird eine Neubewertung der bisherigen Erfolge und Misserfolgsfaktoren für partizipative Prozesse möglich. Dadurch sind wichtige Grundlageninformationen bereitgestellt, die es ermöglichen, die Größe der Zielgruppe zu definieren, spezielle Strukturen offenzulegen und konkrete Handlungsbedarfe zu erkennen. Diese Datenbestände lassen jedoch keinerlei Schlüsse auf die persönlichen Lebenssituationen der Menschen zu. Dieser Aspekt wird durch eine Online-Befragung vertieft - zum einen, um einen Einblick in die Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten zu gewinnen, zum anderen, um eine zielgruppenspezifische Ansprache zu erproben.

Verbundenheit, aber auch Informationsbedarf

Die Online-Befragung fand im Januar 2018 statt und wurde durch eine übergreifende Ansprache begleitet, sowohl unter Nutzung von Presse als auch von sozialen Medien. Zusätzlich wurden die relevanten Informationen über wichtige Multiplikatorinnen und Multiplikatoren verteilt und 4.000 ausgewählte Haushalte persönlich angeschrieben. Angeboten wurde die Online-Befragung in sieben Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Türkisch, Russisch, Polnisch und Arabisch. Das zentrale Ergebnis der Studie ist, dass sich Migrantinnen und Migranten zumeist mit der Stadt verbunden fühlen, sich aber gleichzeitig mehr Informationen wünschen, vor allem bezüglich ihres Stadtteils. Auch streben sie eine erhöhte Beteiligung an, um insbesondere die Wohnumfeldsituation aktiv mitgestalten zu können. 

Im Rahmen dieses Prozesses können die geäußerten Wünsche direkt in den Diskursen zur Stadtentwicklung aufgegriffen werden. Auf Grundlage der Studienergebnisse sind neue und innovative Beteiligungsformate entwickelt worden, in denen Möglichkeiten und Formen zur aktiven Gestaltung der Zukunft der Stadt Osnabrück erarbeitet werden. Dabei erweist es sich als zielführend, dass die Veranstaltungen zur Beteiligung zwar öffentlich, aber dennoch in geschützten Räumen mit zielgruppenspezifischer Ausrichtung stattfinden. Nun ist geplant, dass 2019 insgesamt fünf Projektideen von Personen mit Migrationshintergrund mit Unterstützung der Verwaltung und unter Einbindung der Stadtgesellschaft realisiert werden.

Fazit: Kommunikation auf Augenhöhe ist Grundlage

In Osnabrück hat sich die Vermutung bestätigt, dass eine verstärkte Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund häufig gewünscht wird. Soll dies aber tatsächlich zu einer Partizipation führen, geht dem eine intensive und zum Teil auch aufsuchende Ansprache voraus, die über die Aktivierung von Netzwerken und über Multiplikatorinnen und Multiplikatoren funktioniert. Die erprobten Instrumente für die Partizipation aus den zehn Pilotprojekten machen deutlich, dass eine Kommunikation auf Augenhöhe dabei grundlegend wichtig ist. Auch die Organisation von Gemeinschaftsaktivitäten und die stärkere Nutzung von Begegnungsorten haben sich als wertvolle Angebotsmöglichkeiten erwiesen, die zu einer verstärkten Teilnahme und Teilhabe führen. Hinzu kommen noch kleinteilige Austauschformate und öffentliche Veranstaltungen. Die begleitende Öffentlichkeitsarbeit geht innerhalb dieser Prozesse über die üblichen Produkte und Instrumente wie Stadtteilzeitung, Flyer, Postkarten, Plakate, Social Media, Apps, Pressearbeit und Kampagnen hinaus. Erprobt wurden hier beispielsweise auch innovative Formate wie Guerilla Marketing und Flashmobs (Nationale Stadtentwicklungspolitik, 2018). Trotz des nicht zu unterschätzenden Aufwandes zu Beginn eines solchen Prozesses lässt sich insgesamt sagen, dass die Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund in der Stadtgesellschaft durch die zielgruppenspezifische Ausweitung bestehender Beteiligungsformate durchaus positiv gelingen kann.  

Autorinnen: Dr. Svetlana Kiel, Dr. Friederike Meyer zu Schwabedissen, Transfermanagement, Transferagentur Niedersachsen

¹ Die Möglichkeit der politischen Partizipation auf allen Ebenen (Bund, Länder und Kommunen) ist in der Bundesrepublik Deutschland an die vollen Bürgerrechte und damit an die deutsche Staatsbürgerschaft gebunden. Millionen Bürger bleiben daher derzeit von Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen ausgeschlossen und somit auch von zentralen Elementen der politischen Willensbildung. (Bundeszentrale für politische Bildung)
² Die Nationale Stadtentwicklungspolitik ist eine Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Kommunen. Sie setzt die Inhalte der LEIPZIG CHARTA zur nachhaltigen europäischen Stadt seit 2007 in Deutschland um. Im Fokus steht die Etablierung einer integrierten Stadtentwicklung, die fachübergreifend die anstehenden ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen in den Städten und Gemeinden angeht. Dazu werden unter dem Dach der Nationalen Stadtentwicklungspolitik Strategien und Instrumente (zum Beispiel Städtebauförderung) von Vertretungen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft kontinuierlich weiterentwickelt. Mit dem Memorandum „Städtische Energien – Zukunftsaufgaben der Städte“ wurden 2012 die Zielsetzungen für die kommenden Jahre formuliert. (Nationale Stadtentwicklungspolitik)