Newsletter TRANSFERkompakt Dezember 2023

Interview: Ganztagsschule kommunal steuern

Mit dem rechtlichen Anspruch auf Ganztagsbildung und -betreuung in Grundschulen ab 2026 stehen die Kommunen vor der großen Herausforderung die Ganztagsbildung zu gestalten. Im Interview haben wir mit Herrn Dr. Markus Stöckl aus dem Landkreis Osterholz gesprochen. Der Landkreis hat unter Begleitung der Transferagentur und des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements (DKBM) sein eigenes Ganztagskonzept entwickelt, um die Bildung vor Ort zielgerecht zu steuern und zu gestalten. Wie das Konzept aufgebaut ist, welche Ziele enthalten sind, welche Hürden genommen werden mussten und wie das Konzept evaluiert wird, verrät Herr Dr. Stöckl uns im Interview.

Transferagentur (TA): Herr Dr. Stöckl, ab 2026 gilt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung und -betreuung für die Grundschule. Ziele des Gesetzes sind, neben der verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch mehr Bildungschancen für Kinder zu ermöglichen. Der Landkreis hat sich selbst mit einem Ganztagsschulkonzept auf den Weg gemacht Bildung vor Ort zu steuern und zu gestalten. Was waren die Motivation und die Beweggründe hinter der Konzepterstellung?
Dr. Markus Stöckl (MS): Wesentliche Aufgabe des Bildungskontors als Geschäftsstelle der Bildungsregion Osterholz ist die Entwicklung von Unterstützungsmöglichkeiten im Bildungsbereich und die Stärkung der kooperativen Zusammenarbeit der Bildungsakteure der Region. Auf diese Weise versuchen wir, Rahmenbedingungen für die Gestaltung erfolgreicher Bildungsbiographien zu schaffen. Ein besonderer Fokus unserer Arbeit liegt dabei auf der schulischen Bildung. Die Konzeptentwicklung gehört daher also zu unserem Kerngeschäft, gerade im Rahmen unserer Qualitätsinitiative Beste Bildung. In diesem Fall kamen zudem mehrere Gründe zusammen: Zum einen gab es den Bedarf der Schulen nach einer Unterstützung und Begleitung im Ganztagsschulprozess, der uns nicht zuletzt im Rahmen einer Schulleitungsbefragung zu den aktuellen Herausforderungen nach Corona signalisiert worden war. Daneben kam, angesichts des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ab 2026, auch aus der Politik der Wunsch nach einer entsprechenden Unterstützung für die Grundschulen im Landkreis. Und wir im Bildungskontor haben natürlich die Chance gesehen, die pädagogischen, didaktisch-methodischen Potentiale einer Ganztagsbeschulung bei der Gestaltung des Ganztages zu nutzen, um letztlich die schulische Bildungsqualität weiter zu erhöhen. Wir wollten Impulse setzen und die Schulen dabei unterstützen, den Ganztag – innerhalb des gegebenen äußeren Rahmens und der gesetzlichen und sonstigen Vorgaben – aktiv zu entwickeln und zu gestalten, die verfügbaren Ressourcen und Kompetenzen zu identifizieren und zielführend zu nutzen, Zeiten und Strukturen kindgerechter in Passung zu bringen, die räumliche Gestaltung mitzudenken, die Ganztagsschule als Möglichkeit zur Ablösung vom rein klassischen Unterricht zu sehen, etc..

TA: Wie ist das Ganztagskonzept des Landkreises Osterholz aufgebaut und welche Ziele sind enthalten?
MS:
Die Begleitung und Unterstützung der Grundschulen im Landkreis Osterholz im Ganztagsschulprozess bestehen im Kern aus einer Veranstaltungsreihe für Grundschulen. In themenspezifischen Veranstaltungen, z. B. zum Thema Rhythmisierung, werden Inhalte präsentiert, diskutiert, auf die eigene Schule übertragen und schulspezifisch verortet. Die Themenfelder werden von den Schulen selbst benannt. In den Veranstaltungen geht es immer auch darum, sich gegenseitig zu unterstützen, voneinander zu lernen oder als „critical friend“ zu agieren. Auch Exkursionen und Schulbesuche bei Leuchtturm-Schulen im Ganztagsschulbereich sind geplant. Ausgangspunkt der Workshop-Reihe war die Frage: „Wofür stehen wir als Schule und was sind unsere Ziele mit Blick auf das Lernen unserer Schüler:innen? Diese Frage musste zunächst einmal jede Schule für sich selbst beantworten. Danach erfolgte die schulindividuelle Klärung des aktuellen Prozessstands der Ganztagsschulentwicklung, also eine Standortbestimmung. Anschließend sollten Herausforderungen und Handlungsfelder im Ganztagsschulprozess, also etwa zu treffende Entscheidungen, notwendige Schritte, wie z. B. der Aufbau der erforderlichen Kommunikations- und Kooperationsstrukturen, benannt werden. Diese Handlungsfelder werden nun sukzessive abgearbeitet. Bei ausgewählten Veranstaltungen sind zudem die Schulträger eingeladen. Sie nehmen primär eine beobachtende Rolle ein und erhalten somit Informationen zum Prozessstand und den damit verbundenen Herausforderungen für ihre Schulen sowie zu ihrer eigenen Funktion und Rolle innerhalb dieses Prozesses. Ergänzend zu der Workshop-Reihe für alle Grundschulen bieten wir im Rahmen unserer Ressourcen eine schulspezifische Begleitung und Unterstützung für einzelne Schulen bzw. Schulleitungen an. Dabei kann es sowohl um inhaltliche Fragen zur Gestaltung des Ganztags, als auch um organisatorisch-technische Fragen der Entscheidungen und der Steuerung auf dem Weg dorthin oder die transparente Kommunikation zu den Mitarbeitenden gehen.

Zur Person

Name: Dr. Markus Stöckl
Tätigkeitsbeschreibung: Leiter des Sachgebiets Bildungsmanagement
im Landkreis Osterholz
Tätigkeitsbeginn: 2006

TA: Die Erstellung eines Konzeptes benötigt Kooperationspartner, die die Ziele auch schlussendlich umsetzen. Wie haben sie den Prozess für die Konzepterstellung gestaltet, welche Akteure haben sie mit ins Boot geholt und welche Herausforderungen gab es dabei?
MS:
Durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung und -betreuung ab 2026 „müssen“ sich die Grundschulen ja mit dem Thema beschäftigen, sie ins Boot zu holen war also nicht kompliziert. Herausfordernd waren vielmehr die doch recht heterogenen Prozessstände der Schulen in der Ganztagsschulentwicklung. Auch die personellen und räumlichen Voraussetzungen der Schulen sind durchaus unterschiedlich, ebenso das Engagement der jeweiligen Schulträger. Wir versuchen das in den Workshops methodisch aufzufangen, etwa, indem wir zu jeder Fragestellung immer wieder vergleichsweise homogene Kleingruppen bilden. Hilfreich war außerdem die Erkenntnis, dass keine Schule Lösungen für alle Fragen hat oder in jedem Handlungsfeld gut aufgestellt ist. Die Einbindung der Schulträger wurde im Vorfeld durchaus kontrovers diskutiert, erwies sich im Nachhinein aber für beide Seiten als gewinnbringend. Im weiteren Prozess werden wir vermutlich weitere Kooperationspartner einladen und einbinden, insbesondere diejenigen Akteure, die von den Schulen bei der Ganztagsgestaltung potentiell eingebunden werden können oder sollen, etwa Vereine und sonstige Institutionen.

TA: Welche Bildungsdaten konnten Sie möglicherweise im Rahmen der Konzepterstellung nutzen?
MS:
Das beschränkte sich in diesem Fall tatsächlich auf den Standort sowie aktuelle und zukünftige Zahlen der Grundschüler:innen.

TA: Was sind ihre nächsten Schritte? Ist eine Evaluation des Konzeptes geplant?
MS: Jetzt geht es erstmal darum, die einzelnen Veranstaltungen für die von den Schulen festgelegten Themen- bzw. Handlungsfelder zu planen und durchzuführen sowie potentielle Exkursionen zu organisieren. Parallel bleiben wir im Austausch mit den Schulträgern und versuchen regional externe Kooperationspartner der Schulen zu identifizieren und akquirieren. Wir evaluieren grundsätzlich alle von uns durchgeführten oder finanzierten Maßnahmen und Veranstaltungen. In diesem Fall werden wir nach jedem Workshop formativ evaluieren und bei Bedarf nachjustieren. Nach dem Abschluss der Veranstaltungsreihe werden wir summativ evaluieren. Dabei werden quantitative und qualitative Methoden zum Einsatz kommen – das Evaluationskonzept wird gerade erarbeitet. Und sobald die Ganztagsschulkonzepte der einzelnen Schulen umgesetzt werden, werden wir nach einem noch festzulegenden Zeitraum natürlich erneut bei den Schulen nachfragen.

Wir danken Ihnen herzlich für das Interview, Herr Dr. Stöckl!