Newsletter TRANSFERkompakt Dezember 2021
Interview: Bildungsmonitoring als Weg zur Fachkräftesicherung im Landkreis Harburg.
Kommunales Bildungsmonitoring liefert datenbasierte und objektivierbare Entscheidungsgrundlagen, die eine an individuelle Herausforderungen angepasste Weiterentwicklung der Bildungslandschaft ermöglichen. Um diese zu erreichen, müssen die erhobenen Ergebnisse analysiert und in den Steuerungskreislauf eingebunden werden. Wir haben mit Landrat Rainer Rempe und Bildungsmonitorer Dr. Duncan Cooper über die gezielte Datenanalyse mit dem Fokus Fachkräftesicherung im Landkreis Harburg gesprochen und gefragt, wie es konkret gelingen kann, daraus Handlungsansätze abzuleiten und diese in passgenaue Maßnahmen zu überführen.
Herr Landrat Rempe, Herr Dr. Cooper: Wie nutzen Sie das Monitoring bei der Bewältigung aktueller kommunaler Herausforderungen wie in diesem Fall der Fachkräftesicherung? Und was genau haben Sie im Rahmen Ihrer Datenanalyse im Hinblick auf die Berufsbildenden Schulen und die Schülerströme herausgefunden?
Landrat Rainer Rempe (RR): Der Landkreis hat sich bereits zu Beginn des Projektes ‚Bildung integriert‘ im Sommer 2019 entschieden, den Projektschwerpunkt auf Fachkräftesicherung und den Übergang zwischen Schule und Beruf zu legen. In der Folge haben wir uns bisher vor allem mit diesem Themenbereich beschäftigt. Durch die Arbeit im Bildungsmonitoring wurde eine statistische Basis geschaffen, die die Situation des Landkreises vor allem am Übergang zwischen Schule und Beruf untersucht sowie die sich daraus ergebenden Herausforderungen und Chancen transparent schildert. Die Ergebnisse konnten trotz Corona-bedingter Arbeitsbeschränkungen im Rahmen von Arbeitstreffen und -sitzungen mit den maßgeblichen für Bildungsthemen zuständigen Akteurinnen und Akteuren aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft regelmäßig besprochen werden. Die Erkenntnisse aus dem Bildungsmonitoring haben zur Entwicklung erster Ansätze für Maßnahmen zur Fachkräftesicherung beigetragen.
Dr. Duncan Cooper (DC): Die Ergebnisse des Bildungsmonitorings haben dabei gezeigt, dass im Landkreis vergleichsweise wenige Personen ausgebildet und noch weniger duale Auszubildende an den Berufsschulen beschult werden. Dieser Befund erklärt sich vor allem aus der Entscheidung zahlreicher junger Landkreisbewohnender, eine Ausbildung in der benachbarten Metropole Hamburg zu absolvieren und/oder dort auf eine berufliche Schule zu gehen. Etliche weitere Auszubildende besuchen Berufsbildungsgänge im angrenzenden Landkreis Lüneburg. Die Entscheidung zur Beschulung außerhalb des Landkreises hängt auch nicht selten mit einem fehlenden Berufsschulangebot im Landkreis Harburg zusammen.
Herr Dr. Cooper, wie sind Sie bei der Datenanalyse konkret vorgegangen? Welche Daten haben Sie verwendet und in welcher Form wurden diese aufbereitet und präsentiert?
DC: Die allgemeine Situation am (Aus-)Bildungsstandort Landkreis Harburg wurde durch eine Erfassung der Entwicklung der Berufsschülerzahlen sowie der Auszubildendenzahlen am Wohn- und Arbeitsort ermittelt. Hierzu ließen sich neben den Auszubildendenzahlen der Bundesagentur für Arbeit auch die vom Landesamt für Statistik Niedersachsen veröffentlichten Berufsschülerzahlen heranziehen. Zur regionalen Einordnung wurden die Zahlen benachbarter Landkreise sowie Hamburgs und Niedersachsens ermittelt und auf jeweils 1.000 Einwohnende in den untersuchten Gebieten normiert. Durch eine Auswertung von Daten der Agentur für Arbeit, der Berufsbildenden Schulen sowie landkreisexterner Bildungsbehörden ließen sich die Pendlerströme bei beiden Personengruppen ermitteln. Die wichtigsten Erkenntnisse wurden Entscheidungsträgerinnen und -trägern aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Arbeitssitzungen und -treffen vorgestellt. Die Präsentationsfolien wurden den Teilnehmenden anschließend zur weiteren Verwendung zur Verfügung gestellt.
Herr Landrat Rempe, Herr Dr. Cooper, bitte schildern Sie kurz den Gesamtprozess. Wann und wie haben Sie die verschiedenen Gremien und Akteurinnen und Akteure für die Diskussion der Daten einbezogen?
RR: Im Landkreis Harburg wurde Anfang 2019 ein Treffen der wichtigsten Akteurinnen und Akteure am Übergang zwischen Schule und Beruf, die so genannte Ausbildungsrunde, auf Anregung der Berufsbildenden Schulen ins Leben gerufen. Die Mitarbeitenden des Projektes ‚Bildung integriert‘ wurden in einer Sitzung dieses Gremiums im September 2019 damit beauftragt, die Situation des Landkreises als Ausbildungsort zu klären. Dazu gehört die Frage nach der möglichen Abwanderung von Berufsschülerinnen und -schülern sowie Auszubildenden an benachbarte Standorte. Die Ergebnisse wurden anschließend in Sitzungen der internen Projektsteuerungsgruppe ‚AG Bildung‘ sowie der Ausbildungsrunde vorgestellt und diskutiert.
Zu den Personen
Name: Rainer Rempe
Tätigkeitsbeschreibung: Landrat des Landkreises Harburg
Im Landkreis Harburg seit: 1992, seit 2014 als Landrat
Name: Dr. Duncan Cooper
Tätigkeitsbeschreibung: Bildungsmonitorer im Projekt „Bildung integriert“ – Koordinierungsstelle Migration und Teilhabe
Im Landkreis Harburg seit: August 2019
Fragen, Ideen, Anregungen gerne an: [email protected]
DC: Die ersten Ergebnisse des Projektes ‚Bildung integriert‘ konnten den Mitgliedern der Projektsteuerungsgruppe und der Ausbildungsrunde bereits einige Monate nach Projektbeginn vorgestellt werden. Zusätzliche Erkenntnisse wurden im Rahmen weiterer – teilweise von der Transferagentur Niedersachsen begleiteter – Sitzungen beider Gremien ab Sommer 2020 vorgestellt. Die in der AG Bildung vorgestellten Befunde dienten unter anderem als Diskussionsvorlage für die Erarbeitung konkreter Ansätze für Maßnahmen zur Fachkräftesicherung und Verbesserung des Überganges zwischen Schule und Beruf. Die Ergebnisse fanden zudem 2021 Eingang in eine Vorlage zur Einrichtung eines dauerhaften Bildungsmanagements im Landkreis Harburg, die den Angehörigen verschiedener politischer und verwaltungsinterner Gremien vorgelegt wurde.
Herr Landrat Rempe, welche Mehrwerte erhoffen Sie sich durch den 1. Bildungsbericht und wie unterstützt das Monitoring Sie bei Ihrer Arbeit auf der strategischen Ebene?
RR: Aufgrund der Schwerpunktsetzung des 1. Bildungsberichtes auf berufliche Bildung erhoffe ich mir vor allem Impulse für die Entwicklung weiterer Handlungs- und Maßnahmenansätze für diesen Bildungsbereich. Zugleich würde ich mich sehr freuen, wenn durch den Bericht das Bewusstsein für die Bedeutung der Arbeit der Berufsbildenden Schulen im Landkreis für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort gesteigert werden könnte. Das Bildungsmonitoring unterstützt die Arbeit auf der strategischen Ebene durch die Bereitstellung wissenschaftlich abgesicherter Erkenntnisse, welche die Bildungsentscheidungen und -entwicklungen der letzten Jahre abbilden. Es ermöglicht eine datenbasierte Entscheidungsfindung über bildungsrelevante Sachverhalte in der Verwaltung.
Der Kreistag hat die Verstetigung des ‚Bildung integriert‘-Personals beschlossen und damit gezeigt, welchen Stellenwert Bildung auch in Zukunft im Landkreis Harburg einnimmt. Wie geht es nun in Bezug auf das Berufsschulangebot weiter? Was möchten Sie darüber hinaus im Rahmen des DKBM umsetzen?
RR: Durch das DKBM hat der Landkreis nun die Möglichkeit, faktenbasierte Entscheidungen über bildungsbezogene Fragestellungen im Landkreis vorzunehmen. Langfristig können weitere Bildungsbereiche in den Blick genommen werden, die im Landkreis ebenfalls einen hohen Stellenwert haben. Die Ergebnisse haben gezeigt, in welchen Bereichen der Landkreis gut aufgestellt ist und in welchen Bereichen Verbesserungspotenziale vorhanden sein könnten. Die zukünftige Ausrichtung des Bildungsmanagements im Landkreis besteht gemäß einer Entscheidung der Projektlenkungsgruppe vor allem darin, die schulische und duale Berufsausbildung zu stärken und den Landkreis als attraktiven (Aus-)Bildungsort zu positionieren. Hierzu hat der Landkreis in Abstimmung mit dem Verwaltungsvorstand bereits mehrere Vorschläge und Ansätze für weitere Maßnahmen erarbeitet. Dazu gehört die mögliche Einführung neuer Berufsausbildungsangebote.
Herr Landrat Rempe, Herr Dr. Cooper, herzlichen Dank für das Interview!