Newsletter TRANSFERkompakt Juni 2022

Thema: Die Relevanz von Bildungsbüros in und nach der Ukraine-Krise.

Der Angriffskrieg von Russland in der Ukraine hat verheerende Folgen für die Menschen, die dort zuhause sind. Viele von ihnen fliehen, um für sich und ihre Familien einen sicheren Ort zum Leben zu finden. Sie aufzunehmen und zu integrieren, gehört aktuell zu den drängendsten Herausforderungen für Kommunen. Helfen können dabei die Bildungsbüros mit ihren verlässlichen Kooperations- und Koordinationsstrukturen.

Ausgangslage: Ankunft und Integration Hunderttausender

„Gemäß einer Auswertung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden bis Ende April bereits mehr als 610.100 Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland erfasst, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind“ (statista 2022). Bei der Frage, wo diese Menschen ankommen, nur nach Staaten zu differenzieren, greift allerdings zu kurz. Denn die Geflüchteten finden sich in für sie neuen Sozialräumen wieder, die meist von Städten oder Landkreisen und deren kreisangehörigen Gemeinden verwaltet werden – in Wohngebieten, Einkaufscentern, Bildungs- und Beratungseinrichtungen, Parks u.v.m. Die Datenlage erlaubt aktuell zwar noch keine Übersicht darüber, wie viele Ukrainer:innen in den einzelnen Städten und Kreisen angekommen sind (zum Vergleich: Übersicht des Statistischen Bundesamtes zur ukrainischen Bevölkerung in Deutschland auf Kreisebene 2020). Dennoch spüren die Kommunen den Handlungsdruck: Wie können sie die Ankunft und die Integration der Geflüchteten ermöglichen?

Der rechtliche Rahmen hierfür wurde in der EU mit der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie schnell gesetzt. Dieser gesteht den Schutzsuchenden aus der Ukraine unmittelbar Zugang zu Sozialleistungen, Arbeit, Gesundheitsversorgung sowie Bildung zu – und nicht erst nach Durchlaufen des häufig langwierigen Asylverfahrens. Was das besondere an der „Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz“ ist und welche Folgen die Aktivierung der Richtlinie für Kommunen hat, hat die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) übersichtlich in ihrer Publikation „Aktuelle Fluchtbewegungen und Herausforderungen für Kommunen“ dargestellt.

(Neue) Herausforderungen für die Kommunen

Für die Kommunen bedeutet dieser Rechtsanspruch eine gewisse Handlungssicherheit, auch wenn insbesondere hinsichtlich der Finanzierung weiterhin Klärungsbedarf zwischen den Akteur:innen auf Bundes-, Landes- und Kreisebene besteht. Bei der Unterstützung der ankommenden Menschen vor Ort, stehen die Verwaltungen vor den gewaltigen Aufgaben,

  • Wohnen und Unterbringung möglichst schnell und gut zu regeln,
  • Integration in Bildung, Betreuung und Sprache sowie
  • in Arbeit und Ausbildung zu organisieren,
  • Zugänge in Gemeinschaft und Gesundheit zu vereinfachen.  

Um Kommunen in der Ukraine-Krise zu stärken, bot und bietet die Bertelsmann-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Alliance4Ukraine und dem Verein Familiengerechte Kommune e.V. Mitarbeitenden aus den Stadt- und Kreisverwaltungen einen regelmäßigen Online-Austausch zu ausgewählten Themen mit Good Practice Beispielen an, u.a. unter den Titeln „Ankommen leicht gemacht“, „Soziale Unterstützung, Wechseln in die Jobcenter“ und „Stärkung bedürfnisgerechter Angebote in der Betreuung geflüchteter Kinder“.

Bestehende Strukturen nutzen

Auch wenn die Herausforderungen vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 und der großen Anzahl in Deutschland angekommener Menschen insbesondere aus Syrien nicht neu erscheinen (vgl. Statistisches Bundesamt 2022, Grafik 5 von 6), sind die Aufgaben für viele Verwaltungen zum Teil schwer zu bewältigen, und das nicht nur aufgrund der herausfordernden Jahre durch die Covid-19-Pandemie. Einerseits geht es darum, möglichst schnell auf eine akute Herausforderung zu reagieren, anderseits darum, über die linearen Zuständigkeiten hinweg auch langfristig bereichsübergreifend zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten.

Hier kommt das kommunale Bildungsmanagement ins Spiel: Um bestmögliche Lösungen für die Geflüchteten zu finden, können einige Kommunen, auch in Niedersachsen, auf bereits bestehende Vernetzungsstrukturen zurückgreifen. Das Bildungsmanagement agiert auch außerhalb von Krisenzeiten in Form von bereichsübergreifenden Gremien: In der Regel gibt es eine dezernatsübergreifende, interne Steuergruppe bzw. einen Lenkungskreis auf Leitungsebene. Hinzu kommen häufig Arbeitsgruppen, bestehend aus den Fachplanungen oder Verantwortlichen der verschiedenen Ämter und externen (Bildungs-)Akteur:innen. Im Rahmen eines integrierten Ziel- und Steuerungssystems können alle Beteiligten im Zusammenspiel von Linien- und Projektorganisation agil arbeiten (vgl. zum Beispiel das integrierte Ziel- und Steuerungssystem der Stadt Wolfsburg). Neuen Bedarfen und Herausforderungen kann durch diese Arbeitsweise schnell gemeinsam begegnet werden.

Mehr Gestaltungsspielraum durch eine agile Arbeitsweise

Die Potenziale einer integrierten Planung für ein gutes Ankommen für geflüchtete Kinder und ihre Familien in Deutschland hebt auch die Initiative Kommune 360° in ihrer Publikation „Krisenfeste Kommune“ hervor. Dabei bringt sie fünf erfolgsversprechende Arbeitsstrukturen für die Verwaltung auf den Punkt:

  1. Szenarien entwickeln: In unsicheren Zeiten agil planen
  2. Beteiligung vor Ort stärken: Communities aktiv einbinden
  3. Innovative Lösungen ermöglichen: Bewährte Ansätze neu denken
  4. Kräfte bündeln: Ressortübergreifende Steuerungsstrukturen nutzen
  5. In Synergien denken: Aus der Krise für Regelaufgaben lernen

Diese Form des agilen Arbeitens unterliegt einem neuen Verständnis kommunaler Planung und Gestaltung, wie es bereits niedersachsen- und bundesweit von Bildungsbüros und vergleichbaren Koordinierungsstellen getragen wird. Von zentraler Bedeutung für dieses Verständnis ist, dass der Nutzen für die Mitbürger:innen in den Fokus gerückt und weg von einer Gesellschaftsverwaltung hin zu einer Gesellschaftsgestaltung gesteuert wird.

Bildungsbüros mit wertvollen Netzwerken und Daten

Bildungsbüros spielen auch in der Ukraine-Krise eine wichtige Rolle für die Kommune: Aufgrund der guten internen Vernetzung können die Leiter:innen eines Bildungsbüros oder eines Amtes für Bildung die zentrale Koordinierungsfunktion in allen Fragen zur Ankunft und Integration von Ukrainer:innen übernehmen. Die Mitarbeitenden können Zugang zu wichtigen externen Netzwerken und Daten liefern, Bildungsmanager:innen und -monitorer:innen ihre Kompetenzen in der Leitung und Moderation von Arbeitsgruppen sowie in der quantitativen und qualitativen Sozialforschung einbringen. Dabei können viele Bildungsbüros weiterhin auf Strukturen zurückgreifen, die seit 2016 im Rahmen des Förderprogrammes „Kommunale Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte“ aufgebaut wurden. Einen vielfältigen Einblick in bereits etablierte Strategien und erprobte Instrumente bietet unsere Publikation „Blickpunkt Integration“ mit Praxisbeispielen zu den Bereichen Bildungs- und Integrationsmanagement, Übergangsmanagement, Sprachbildung und Datenbasierung.

Konkrete Handlungsansätze im Überblick

Vielfältige Ansätze für das Bildungsmanagement, um die Integration der geflüchteten Menschen auch nachhaltig zu sichern, finden sich entlang der (Bildungs-)Biografie, aber auch parallel dazu: 

  • Ankommen erleichtern: Kanäle der Öffentlichkeitsarbeit nutzen!
    Viele Bildungsbüros haben eigene Webseiten und Bildungsportale, teilweise auch Newsletter, die sowohl Bürger:innen als auch die verschiedensten (Bildungs-)Akteur:innen vor Ort erreichen. Hier können wichtige Informationen für die Menschen, die in der Kommune ankommen, zentral platziert und über die Multiplikator:innen weitergegeben werden.
  • Registrierung und mittelfristige (Bildungs-)Bedarfsplanung: Bildungsmonitoring nutzen!
    Die Daten aus der Registrierung der Schutzsuchenden in der Kommune können den Fachplanungen wichtige Hinweise für zukünftige Bedarfsanalysen liefern. Je nach Vorhandensein von (abgeschotteten) Statistikstellen kann das Bildungsmonitoring hier eine wichtige Funktion in der zentralen Sammlung der Daten einnehmen und diese mit anderen Bereichen verknüpfen. 
  • Ehrenamt: Informationskanäle nutzen!
    Insbesondere in den ersten Monaten sind die Kommunen auf ehrenamtliche Helfer:innen angewiesen, um den Geflüchteten ein sicheres Ankommen zu ermöglichen und sie vor Ort auch persönlich willkommen zu heißen. Auch hier kann das Bildungsbüro die Potenziale der vorhandenen Informationskanäle ausschöpfen. Durch öffentliche Plattformen ebenso wie durch die persönlichen Kontakte aus den Netzwerken können Bürger:innen und Einrichtungen angeworben, informiert und bei der Umsetzung der ehrenamtlichen Tätigkeit unterstützt werden.   
  • KiTa: Netzwerke aus dem frühkindlichen Bereich nutzen!
    Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind viele Frauen mit Kindern, weshalb sich eine Kommune frühzeitig um eine bedarfsgerechte Betreuung kümmern sollte – einerseits, um den Müttern die Teilhabe an (Bildungs-)Angeboten und Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren, anderseits, um den Kindern die Chance auf eine gute Bildungsbiografie zu geben. Hier können Bildungsbüros ihre Netzwerke im frühkindlichen Bereich aktivieren, die Bedarfe der Akteur:innen einholen und entsprechende Unterstützungsangebote und Zusatzleistungen anbieten.
  • Schule: Netzwerke der Schulleitungen, Lehrkräfte, Sozialarbeiter:innen und pädagogischen Fachkräfte nutzen!
    Dasselbe gilt für den schulischen Bereich: Bildungsmanagement und -koordination sind in der Regel gut mit den Schulen vor Ort vernetzt. Die persönlichen Kontakte helfen bei der schnellen Kontaktaufnahme und Kommunikation in beide Richtungen – sowohl dabei, die Bedarfe an die Kommune zu vermitteln, als auch die Angebote der Verwaltung weiterzuleiten. 
  • Sprachkurse: Strukturen und Angebote aus dem früheren Programm „Kommunale Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte“ nutzen!
    Viele Bildungsbüros sind nicht nur mit den verschiedenen Akteur:innen der Sprach- und Integrationskurse in ihrer Kommune vernetzt, sondern bieten auch interaktive Karten und digitale Suchassistenten für Neuzugewanderte an. Mit der weiteren Pflege und Bewerbung eines solchen zentralen Angebotes ist allen geholfen: den Angebotssuchenden, den Anbietenden und der kommunalen Planungsstelle.     
  • Arbeit: Netzwerke aus dem Bereich Übergang Schule-Beruf nutzen!
    Auch bei der Herausforderung der Arbeitsmarktintegration kann das Bildungsmanagement seine bestehenden Netzwerke und Angebote zum Übergang Schule-Beruf und die teils guten Kontakte zu Unternehmen in der Region nutzen, um sowohl die Geflüchteten als auch die Wirtschaft vor Ort zu unterstützen. 
  • Beteiligung/Ukrainer:innen zu Wort kommen lassen: Bildungsmonitoring nutzen!
    Zudem ist denkbar, die angekommenen Menschen aufzusuchen und ihre Perspektive auf ihre Lebenslage und notwendige Unterstützung für ein gelingendes Ankommen (und Bleiben) einzufangen. Darüber hinaus kann das Bildungsmonitoring in allen genannten Themenbereichen durch gezielte Befragungen der beteiligten Akteur:innen zu bedarfsgerechten Lösungen für die Herausforderungen führen.  

Weiterer Informations- und Austauschbedarf?

Die Bildungsbüros in Niedersachsen sind aktuell ganz unterschiedlich in die Koordinierung der Versorgungs- und Integrationsangebote für Geflüchtete aus der Ukraine eingebunden, was auch mit der organisationalen Anordnung in der Kommunalverwaltung zusammenhängt. Deshalb spiegeln die beschriebenen Arbeitsstrukturen und Handlungsansätze nicht die Vorgehensweise einer ausgewählten Kommune wider, sondern stellen eine Sammlung möglicher Anknüpfungspunkte für das DKBM dar. Wenn Sie sich mit anderen Kommunen zur Rolle eines Bildungsbüros in der Ukraine-Krise austauschen möchten, dann nutzen Sie gerne die Arbeitsgruppen-Treffen und das Forum unseres DKBM-Netzwerkes Niedersachsen oder sprechen Sie uns direkt an!

Autorin: Maria Leuschner, Transfermanagement, Transferagentur Niedersachsen