Newsletter TRANSFERkompakt September 2022

Thema: Die Kommune als Sozialraum – kleinräumige Analysen im DKBM.

Denkt man an einen Raum, dann sind damit häufig Assoziationen einer begrenzten Fläche verbunden, die, wie etwa im Fall eines Wohnraumes, durch eine Decke, einen Boden und durch Seitenwände begrenzt wird. Dieser Raum kann leer sein, er kann aber auch befüllt werden, wie etwa im Falle des Wohnraumes durch Möbel, Pflanzen oder auch Menschen. Auch eine Kommune kann als ein (Sozial-)Raum verstanden werden, der nicht leer, sondern gefüllt ist: In einer Kommune stehen Häuser und Bäume, es gibt Straßen, auf denen Autos fahren und Gebäude, in denen Menschen leben. Gleichwohl die administrativen Grenzen einer Kommune, anders als die Wände eines Wohnraumes, nicht unmittelbar sichtbar sind, sind sie dennoch existent: Kommunen sind dahingehend begrenzt, als dass sie territorial abgegrenzte Gebietskörperschaften darstellen. Bei dieser Form der Begrenzung handelt es sich nicht um eine physische, unmittelbar ersichtliche, sondern um eine politisch-administrative Grenze, die einzelne Kommunen „umzäunt“. Welche Ebenen und Perspektiven betrachtet und welche Daten dafür im Rahmen des Bildungsmonitorings mithilfe des DKBM herangezogen werden können, verdeutlicht dieser Artikel, ergänzt um eine „Wie praktisch“-Arbeitshilfe.

Drei Ebenen sozialräumlich differenzierter Betrachtung von Kommunen

Bleibt dieses Bild einer Kommune als Raum mit engen Grenzen bestehen, so stellt sich unmittelbar die Frage nach dem analytischen Blick in den kommunalen Raum hinein. Eine solche Perspektive auf Kommunen kann als sozialräumlich differenziert bzw. als kleinräumig beschrieben werden, wenn die der Analyse zugrundeliegenden Sozialdaten unterhalb der Ebene der gesamten Kommune aufbereitet sind (vgl. Giesen/Wieland 2021, S. 14).

Eine sozialräumlich differenzierte Betrachtung einer Kommune nimmt nach Terpoorten (2017, S. 25f.) drei Ebenen in den Fokus: Sie kann sich, erstens, auf Stadtteile beziehen, die durch zuvor definierte Sozialindikatoren, wie etwa SGB-II-Quoten, Umzugsquoten oder auch Bebauungskennziffern typisiert wurden. Anhand dieser Typisierung können einzelne Gebiete in einer Kommune identifiziert werden, die sich bspw. mit Blick auf die Demografie der in diesem Gebiet lebenden Bevölkerung als ‚junge‘ oder als ‚alte‘ Stadtgebiete beschreiben lassen. Zweitens können die Standorte der Bildungsangebote fokussiert werden. Denn gut zu erreichende Bildungsangebote erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch von der Bevölkerung wahrgenommen und genutzt werden. Und drittens können bei einer sozialräumlich differenzierten Betrachtung einer Kommune die konkreten Bildungsteilnehmer:innen „mit der jeweils individuellen Bildungsgenese und den individuellen Rahmenbedingungen“ (Terpoorten 2017, S. 26) analysiert werden.


Kommune als Sozialraum

Wie unterscheiden sich diese drei Ebenen der sozialräumlich differenzierten Betrachtung und wie lassen sich diese Ebenen mit dem Begriff des Sozialraumes zusammenbringen? Während die erste und die dritte Ebene aus verschiedenen, gegensätzlichen Perspektiven auf den Sozialraum blicken, nimmt die zweite Ebene eine eher vermittelnde Position ein. Die erste Ebene betrachtet den Sozialraum aus einer kartografischen Perspektive. Dafür werden Stadtareale anhand vorab bestimmter Sozialindikatoren (Arbeitslosenzahlen, Umzugsquoten, Bebauungskennziffern etc.) typisiert, die ggf. auch geclustert werden können (vgl. Terpoorten 2017, S. 25; Reutlinger/Kessl/Maurer 2005/2019, S. xxiii). Eine solche Perspektive konzipiert den Sozialraum von außen nach innen, das heißt, der Sozialraum wird als ein Behältnis verstanden, das sozusagen mit Menschen, Dingen und Eigenschaften befüllt wird (vgl. Löw/Sturm 2005, S. 15). Diese werden dann anhand statistischer Kennziffern erfasst und typisiert. Die dritte Ebene, die von der Perspektive der Bildungsteilnehmer:innen ausgeht, oder – allgemeiner gesprochen – der Menschen, die in einer Kommune leben, konzipiert den Sozialraum hingegen von innen nach außen: Ausgangspunkt dieser Perspektive sind die Menschen und die Institutionen in einer Kommune mit ihren spezifischen Normen und Weltbildern, aus denen ein Sozialraum erst hervorgeht (vgl. ebd.). Diese Perspektive interessiert sich für die konkreten Lebenswelten der in einer Kommune lebenden Menschen (vgl. Reutlinger/Kessl/Maurer 2005/2019). Die zweite Ebene nimmt wiederum einen zwischen beiden Positionen vermittelnden Blick ein. Sie betrachtet die territorial-räumliche Verteilung von Bildungsstandorten von außen, fragt aber auch danach, wie diese von den Menschen innerhalb einer Kommune konkret genutzt und erreicht werden können.

Aus diesen beiden Perspektiven auf eine Kommune, sowohl der eher territorial-administrative Blick von außen als auch der lebensweltlich, an den einzelnen Menschen in der Kommune orientierte Blick von innen, leitet sich das Verständnis einer Kommune als Sozialraum ab. Denn „[d]er Begriff Sozialraum stellt eine Verbindung zwischen dem physikalischen Raum und den Menschen, die diesen Raum nutzen, her und bedeutet gleichermaßen, dass sich soziale Gegebenheiten dort konzentrieren“ (Bartling/Reher 2019, S. 6). Durch das Konzept des Sozialraumes wird also der rein territoriale Blick um die Perspektive der Bewohner:innen und ihre je spezifischen Lebensverhältnisse erweitert (vgl. Bienek/Suthues 2017, S. 2). Das Sozialraumkonzept macht damit auf die Verknüpfung zwischen dem physikalischen bzw. dem geografisch-administrativen Raum und der sozialen Lage der Menschen, die in diesem Raum wohnen und leben, aufmerksam und verweist dadurch auf den „komplexen Zusammenhang von Raum und Sozialem“ (Schnurr 2017, S. 8). Denn nicht nur wirkt der (Sozial-)Raum auf die Menschen, auch wirken die Menschen auf den (Sozial-)Raum (vgl. ebd., S. 4).

Territoriale und lebensweltliche Bestimmung von Sozialräumen

Bei dieser Perspektive ist entscheidend, dass bei der Betrachtung und der Analyse von Sozialräumen mal das territoriale oder mal das soziale, lebensweltliche Verständnis stärker gewichtet werden kann. Je nachdem, aus welcher fachlichen Perspektive und unter welcher Fragestellung ein Sozialraum untersucht wird, muss gegenstandsbezogen festgelegt werden, was unter einem Sozialraum verstanden werden soll und welche Aspekte demzufolge im Rahmen einer sozialräumlich ausgerichteten Betrachtung einer Kommune stärker in den (analytischen) Fokus geraten sollen (vgl. ebd.; Reutlinger/Kessl/Maurer 2005/2019, S. vii). Die kleinräumige bzw. sozialräumlich differenzierte Betrachtung von Kommunen als Sozialräume erfüllt dabei keinen Selbstzweck, sondern sie „verfolgt das Ziel, ausgewählte Zielgruppen im Stadt- oder Gemeindegebiet zu identifizieren, um Angebote vor Ort möglichst bedarfsgerecht zu gestalten“ (Bartling/Reher 2019, S. 10). Dabei kann der analytische Fokus entweder stärker auf territoriale Aspekte einer Kommune gerichtet werden (= Kommune als Planungsraum) oder sich gezielter auf die vor Ort lebenden Menschen konzentrieren und ihre individuellen Lebenswelten in den Blick nehmen (= Kommune als Lebensraum) (vgl. Schnurr 2017).

Wie beide Perspektiven fruchtbar kombiniert werden können, zeigt beispielsweise der Bericht „Soziale Ungleichheit in Osnabrück“ (vgl. Harney/Popp 2012), der im Rahmen des Bundesprogrammes „Lernen vor Ort“ erstellt wurde. Hier wurden in einem ersten Schritt administrativ festgelegte städtische Teilgebiete betrachtet (wie z.B. Stadtteile) und Daten der Kommunalstatistik und der amtlichen Statistik (bspw. Einwohner:innenmeldedaten oder Daten der Bundesagentur für Arbeit) herangezogen, um Teilgebiete in der Stadt mit besonderem Handlungsbedarf aufzudecken. Diese ‚quantitative Perspektive‘ wurde in einem zweiten Schritt durch eine ‚qualitative Perspektive‘ ergänzt, in der die Kommune weniger als Planungsraum, sondern stärker als Lebensraum in den Blick genommen wurde. In diesem Lebensraum werden die Bewohner:innen als Expert:innen ihrer eigenen Lebenswelt verstanden (vgl. Deinet/Icking 2017, S. 36). Durch diese zusätzliche Perspektive gerieten auch die Lebenswirklichkeiten und konkrete Problemlagen der Bewohner:innen der untersuchten Stadtteile Osnabrücks in den Fokus, die sich anhand verschiedener qualitativer Methoden (wie etwa Befragungen, Expert:inneninterviews oder auch Vor-Ort-Begehungen (vgl. Harney/Popp 2012, S. 26; Deinet/Icking 2017, S. 37) erfassen lassen.

Verbindung des Sozialraumkonzeptes mit DKBM

Datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement (DKBM) beschreibt einen Ansatz, der darauf abzielt, relevante (Bildungs-)Akteur:innen einer Kommune zu vernetzen, um Bildungsangebote gewinnbringend aufeinander abstimmen zu können und so Rahmenbedingungen für erfolgreiche Bildungsprozesse in einer Kommune zu schaffen. Dafür werden im Rahmen des Bildungsmonitorings Daten erhoben, die dabei helfen sollen, Handlungsbedarfe zu erkennen und darauf aufbauend gezielte Maßnahmen abzuleiten. Das Sozialraumkonzept schärft den Blick dafür, sozialräumlich differenzierte Analysen zwar auch, aber nicht alleine anhand quantitativer Kennziffern, wie Einwohnerzahlen, SGB-II-Quoten oder Schulabgangsstatistiken, aufzubauen. In Abhängigkeit zeitlicher und personeller Ressourcen können auch qualitative Verfahren und Daten nützlich sein, um einen Einblick in die tatsächlichen Lebenswelten der Menschen in einer Kommune zu erhalten.

Fazit

Mithilfe des Sozialraumkonzeptes lässt sich der territorial-administrative Blick auf eine Kommune mit einer lebensweltlichen Perspektive auf die einzelnen Menschen vor Ort gewinnbringend kombinieren, um im Rahmen einer sozialräumlich differenzierten Betrachtung „ein Bild von dem tatsächlich gelebten Raum erhalten zu können“ (Bartling/Reher 2019, S. 6). (Bildungs-)Maßnahmen und (Bildungs-)Angebote können so noch passgenauer auf die Bedürfnisse der Menschen, die in einer Kommune leben, abgestimmt werden (vgl. ebd.).

Autor: Tobias Wittchen, Transfermanagement, Transferagentur Niedersachsen