Newsletter TRANSFERkompakt Dezember 2022

Thema: Der Übergang „Beruf-Rente“ – ein (noch) weitgehend unentdecktes Feld im DKBM?

Die Gestaltung von Übergängen (Kita-Grundschule, Grundschule-weiterführende Schule, Schule-Beruf) hat eine gewisse Tradition im datenbasierten kommunalen Bildungsmanagement (DKBM), sind doch nachhaltige Strukturen aufgebaut, viele Konzepte entwickelt, Kooperationsbeziehungen intensiviert und die Öffentlichkeitsarbeit ausgeweitet worden. Der Übergang in die nachberufliche Lebensphase scheint allerdings ein (noch) weitgehend unerschlossenes Themengebiet im DKBM zu sein. Warum es gerade angesichts der Auswirkungen des demografischen Wandels dennoch Beachtung finden sollte und welche Gestaltungsmöglichkeiten sich auf kommunaler Ebene ergeben, beleuchtet der folgende Beitrag.

Der Übergang von der Schule in Ausbildung, Studium und Beruf ist ein in vielen Kommunen nachgefragtes, zentrales Themenfeld des kommunalen Bildungsmanagements. Die vielen Projekte, Initiativen und Bemühungen bestätigen dies (siehe Zusammenstellung der Transferagentur Bayern). Begibt man sich jedoch auf die Suche nach einem kommunalen Übergangsmanagement, welches sich mit dem Übergang „Beruf-Rente“ befasst, ist das Ergebnis ernüchternd. Und das, obwohl wir uns bereits im Übergang der Babyboomer in den Ruhestand befinden: „Zwischen 2020 und 2032 werden ca. 13 Millionen Menschen in den Ruhestand eintreten, die im Vergleich zu vorangegangenen Kohorten im Durchschnitt ein höheres Bildungsniveau und einen besseren Gesundheitszustand aufweisen“ (Dehne/Hoffmann 2016, S. 12).


Was bedeutet dies für die Kommunen?

Die Auswirkungen des demografischen Wandels1 sind in den Kommunen deutlich zu spüren. Die Diskussionen zur Fachkräftesituation (siehe auch tagesschau.de) vor Ort, die sich sowohl auf die Kommunen selbst als auch auf die ortsansässigen Unternehmen und Institutionen beziehen, sind ein prominentes Beispiel. Fakt ist: Es sind mehr alte Menschen, sie sind vielfältiger mit unterschiedlichen Lebensmodellen und sie stellen Ansprüche an Wohn- und Lebensqualität. Ferner stellt die Verrentung einen erheblichen Einschnitt für das einzelne Individuum dar2. Menschen am Übergang in die nachberufliche Lebensphase suchen nach sinnstiftenden Tätigkeiten, sozialen Kontakten und gesellschaftlicher Teilhabe (Adams und Stanjek 2022) und gleichzeitig eröffnet dieser auch die Möglichkeit für neue Selbstkonzepte (Schmitz 2016, S. 10).

Die Handlungsfelder und jeweiligen Anforderungen an die Kommunen können nicht unterschiedlicher als die Babyboomer selbst sein (in Anlehnung an Dehne/Hoffmann 2016 sowie Heiermann et al. 2018):

  • Arbeit und Wirtschaft: Die Verringerung der erwerbstätigen Bevölkerung wirkt sich auf den Wohlstand der Heimatregionen aus und verschärft die Fachkräftesituation vor Ort. Gleichzeitig ist die Nachfolge in vielen Betrieben und Unternehmen nicht geregelt.
  • Bildung und Kultur: Höhere Ansprüche an Angebote vor Ort. Gesellschaftliche Veränderungen (z.B. Digitalisierung) erfordern lebenslanges Lernen (zur Bewältigung der nachberuflichen Phase und zur Erhaltung kognitiver Fähigkeiten).
  • Mobilität und Freizeit: Gefragt ist maximale Mobilität ohne Altersdiskriminierung. Die Babyboomer werden im Alter aktiver sein und außerhäusliche Aktivitäten zunehmen.
  • Wohnen: Mit einem Anstieg des Bedarfs nach bezahlbarem, kleinem und barrierefreien Wohnraum ist zu rechnen, wie auch mit einem Leerstand vieler Eigenheime der Babyboomer.
  • Gesundheit und Pflege: Einerseits ist zu erwarten, dass die Babyboomer gesünder alt werden, andererseits kann die Lebensphase Alter auch von vielen Jahren mit chronischen Krankheiten geprägt sein. Gerade in ländlichen Regionen sind die Versorgungsangebote ausgedünnt.
  • Engagement: Es wird davon ausgegangen, dass sich die besser gebildeten nachrückenden Kohorten stärker engagieren und beteiligen werden als Vorgängerkohorten. Hierfür erwarten sie gute Rahmenbedingungen (z.B. Spaß, zeitliche Flexibilität, Begegnungen auf Augenhöhe mit hauptamtlich Tätigen, weniger Bürokratie). Das Engagementpotenzial ist sehr hoch.
  • Sozialleben: Eine höhere soziale Mobilität führt dazu, dass viele Menschen ohne Familie altern und das Risiko der Einsamkeit im Alter ansteigt.
  • Soziale Sicherung: Vielen Menschen im Alter droht die Armut. Besonders Frauen und Migrant:innen aus der Babyboomer-Generation sind hiervon bedroht.
  • Medien- und Techniknutzung: Immer mehr Menschen nutzen neue technische Möglichkeiten. Die Babyboomer sind an schnelle technische Veränderungen gewöhnt. Die „digitale Kluft“ verläuft weniger zwischen Jung und Alt, vielmehr innerhalb der Gruppe älterer Menschen.

Die Betrachtung der einzelnen Handlungsfelder verdeutlicht die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten zur Bearbeitung des Übergangs „Beruf-Rente“. Wichtig ist, dass die gesellschaftliche Herausforderung des demografischen Wandels nicht ausschließlich als Herausforderung angesehen, sondern vielmehr als Chance betrachtet wird. Und zwar, wenn die Menschen rechtzeitig auf den Übergang vorbereitet werden. Denn die nachberufliche Lebensphase, die mehrere Jahrzehnte umfassen kann, sollte nicht unüberlegt, sondern geplant erfolgen. Hier können Kommunen ansetzen und die Rolle als Gestalterin einnehmen.

Welche Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich auf kommunaler Ebene?

„Dass die Babyboomer altern, bringt für die Kommunen in Deutschland so und so massive Veränderungen mit sich. Ob die Babyboomer für sie dabei aber zur Belastung werden, weil sie Kosten verursachen und teilweise auf Pflege angewiesen sein werden, oder ob die neuen Alten ihre Kompetenzen und Erfahrungen gewinnbringend lokal einbringen, das haben die Kommunen selbst in der Hand“ (Klingholz 2018). Viele der nachfolgend aufgeführten Beispiele werden bereits heute umgesetzt (siehe auch Dehne/Hoffmann 2016 sowie Heiermann et al. 2018):

  • Sensibilisierung der Öffentlichkeit bzgl. des Themas Übergang in die nachberufliche Lebensphase (Informationen über Handlungsbedarfe und -optionen) und in diesem Zusammenhang die Betonung der Potenziale der Babyboomer-Generation zur Schaffung positiver Altersbilder (auf individueller Ebene: Ein längeres Leben in Selbstbestimmtheit und Teilhabe; Aktivitäten im Alter, insb. freiwilliges Engagement, tragen zum Erhalt der Gesundheit und zur Aufrechterhaltung bzw. zum Gewinn sozialer Kontakte bei; auf gesellschaftlicher Ebene: Freiwilliges Engagement als Beitrag zur Sicherung der kommunalen Daseinsvorsorge.).
  • Freiwilligenagenturen / Seniorenbüros als kommunale Anlaufstellen, die Informationen bereithalten und Hilfe anbieten.
  • Gründung lokaler Pflegenetzwerke, in denen Bürger:innen, Verwaltung und Fachpflege zusammenarbeiten und gemeinsam nach neuen Konzepten suchen.
  • Unterstützung der Unternehmen bei der Gestaltung altersgerechter Arbeitsbedingungen (z.B. spezielle Teilzeitmodelle oder altersgemischte Teams) und bei der Unternehmensnachfolge.
  • Nachbarschaftsinitiativen zur Vermeidung von sozialer Isolation und Einsamkeit. Wichtig ist, Jung und Alt gleichermaßen anzusprechen und sie zusammenzubringen, wie beispielsweise in Mehrgenerationenhäusern. Auch das Angebot an Wohngemeinschaften gewinnt an Bedeutung.
  • Beteiligung3 der Zielgruppe durch klassische Befragungen oder Zukunftswerkstätten mit Runden Tischen. Auch kommunale Seniorenvertretungen sind eine verbreitete Möglichkeit der politischen Mitwirkung.
  • Sektorenübergreifende Kooperationen sind erforderlich, um diese Aufgabe zu bewältigen. Hier können die Kommunen auf bereits etablierte Kooperationen bei den Übergängen, insbesondere beim Übergang Schule-Beruf, zurückgreifen.
  • In der Jugend werden bereits die Grundlagen für ein aktives Altern gelegt, daher ist eine bereichsübergreifende Sozialplanung, die allen Menschen zugutekommt, sinnvoll.
  • Und schließlich können Kommunen selbst als Arbeitgeber aktiv werden und ihre Mitarbeitenden frühzeitig auf die nachberufliche Lebensphase vorbereiten (ca. 3-5 Jahre vor dem Renteneintritt).

Welchen Beitrag kann ein DKBM leisten?

Demografie ist wie Bildung eine Querschnittsaufgabe und macht ressortübergreifendes Arbeiten notwendig. Die im DKBM aufgebauten Strukturen (Gremien, Leitbild, Strategien, Handlungskonzepte, Kooperationsbeziehungen, usw.) schaffen gute Voraussetzungen, um das Handlungsfeld Übergang „Beruf-Rente“ aus dem Bildungsmanagement heraus mitzugestalten. Nachfolgend sind Erfolgsfaktoren für ein kommunales Übergangsmanagement (BMFSFJ 2016, S. 10) aufgeführt, die den Erfolgsfaktoren für verstetigte DKBM-Strukturen nach Duveneck (2021) ähneln:

  1. Politischer Wille und (politisches) Mandat
  2. Beteiligung der Zivilgesellschaft
  3. Sozialraumorientierung
  4. Sozialplanung und Organisationsentwicklung
  5. Kommunale Anlaufstelle(n)
  6. Multiplikator:innen finden/gewinnen
  7. Positive Effekte verdeutlichen (Mehrwertkommunikation)
  8. Vielfältige Modelle zulassen (Heterogenität der Zielgruppe)
  9. Menschen in prekären Lebenslagen im Blick behalten

Zur Gestaltung des Übergangs in die nachberufliche Lebensphase ist eine Zusammenarbeit mit den zielgruppenspezifischen Akteur:innen innerhalb der Kommunalverwaltung (z.B. Demografiebeauftragte, Seniorenbüros, Senioren- und Pflegestützpunkt, Gesundheitsregion) vorteilhaft. Mit ihnen gewinnen die Bildungsmanager:innen starke Partner:innen zur Gestaltung der Bildungslandschaft vor Ort, denn das Angebot an öffentlicher Infrastrukturen wie Bildung, aber auch soziale Netzwerke, bestimmen maßgeblich die alltägliche Lebensführung (nicht nur) im Alter (Lang et al. 2022).

Autor: Nils Holtmann, Transfermanagement, Transferagentur Niedersachsen


1 Eine differenzierte Betrachtung findet bei Naegele et al. (2016) auf Seite 375 statt.
2 An dieser Stelle sei auf die Publikation von Schmitt 2018 verwiesen.
3 Hierzu vertiefend Eifert 2022.