Newsletter TRANSFERkompakt Dezember 2023

Thema: Die Kommune als Karriere-Kompass?

1. Einleitung - Berufsorientierung im Rahmen eines datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements.

Die Berufsorientierung als Feld des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements (DKBM) hilft, um auf gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, wie den Fachkräftemangel oder die sogenannte „Flucht aus ländlichen Regionen“ reagieren zu können. „[So ist] die Einsicht, dass die Integration der nachwachsenden Generationen in den Beruf eine wichtige gesellschaftliche Herausforderung darstellt, […] so alt wie die ‚moderne Arbeitsgesellschaft‘ selbst. Spätestens seit dem frühen 20. Jahrhundert ist die Frage, vor welchen Anforderungen die Jugendlichen bei der Bewältigung des Übergangs stehen und wie ihr Übergang in den Beruf institutionell gestützt und pädagogisch gefördert werden kann, Gegenstand öffentlicher Diskussion“ (Brüggemann & Rahn, 2013: S. 11). Vielen Schüler:innen fehlt es häufig an Klarheit darüber, welchen Weg sie nach der Schule einschlagen möchten bzw. können (vgl. Calmbach & Schleer, 2020). Dabei wird der Kommune eine wichtige Funktion zuteil, indem sie mit ihrem Blick auf die kleinräumigen Gegebenheiten vor Ort einen gelingenden Übergang in die Phase nach der Schulzeit mitgestalten kann und in diesem Sinne verschiedene Akteur:innen, die in der Beruflichen Orientierung von Bedeutung sind (wie u.a. Eltern, die Schule oder außerschulische Partner:innen) mit einbindet. Vor allem der Übergang in Ausbildung, Studium oder Beruf stellt hier eine grundlegende Weichenstellung für die Lebens- und Entwicklungsperspektiven junger Menschen dar. Zu betonen ist in diesem Kontext, dass sich durch Destandardisierungen von Erwerbsbiographien, Berufsorientierungsprozesse im ganzen Lebensverlauf widerspiegeln können und nicht auf die Jugendphase zu begrenzen sind. Schulische und berufliche Verläufe sind deutlich vielfältiger geworden und so können berufliche Entscheidungen immer wieder angepasst werden (vgl. Brüggemann & Rahn, 2013: S. 13). Diese Revidierung von Berufsentscheidungen mitzudenken, ist dann eine Aufgabe im Rahmen eines DKBM, welches insbesondere das Lebenslange Lernen im Rahmen eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses betont, Vernetzungsperspektiven aufzeigt und Kooperationsstrukturen etabliert. Der Artikel wird in die theoretischen Ansätze zur Berufsorientierung einführen, die rechtlichen Grundlagen erörtern, die Rollen einzelner Akteur:innen im Prozess der Beruflichen Orientierung beleuchten sowie Praxisbeispiele aus Niedersachsen mit der Akteursperspektive verknüpfen. Im Rahmen eines Resümees wird der Prozess der Berufsorientierung abschließend innerhalb einer ganzheitlich gedachten Bildungslandschaft verortet.

In der Einleitung wurde bereits deutlich, dass sich im Rahmen einer flexibler werdenden Phase der Berufstätigkeit, die sich in der Entscheidungsfindung über den gesamten Lebensverlauf erstrecken kann, Berufsorientierung immer wieder neugestalten lässt. Eine Facette ist in diesem Zusammenhang maßgeblich: Die Kompetenzen oder Anforderungen, die eine Person für einen Beruf braucht und die sie einbringen und (weiter-)entwickeln kann bzw. muss. „Im Kontext beruflicher Laufbahnen entstehen wiederkehrend Situationen im Sinne eines zu bewältigenden Problemlöseprozesses.“ (Driesel-Lange et al., 2020: S. 8) Um dieses „Problem“ lösen zu können, muss der jugendliche Mensch bzw. der Erwachsene verschiedene Kompetenzen erlangen mit denen er diesen Herausforderungen der Berufsfindung und späteren Berufswelt begegnet. Auch, wenn sich die Frage der Berufsorientierung prinzipiell über die ganze Phase des Lebens stellen kann (bspw. durch unerwartete Kündigung im höheren Lebensalter und der damit verbundenen Notwendigkeit der Jobsuche), so ist die Bewältigung des Übergangs von der Schule in die Ausbildungsphase oder ins Studium von elementarer Bedeutung. Auf diesen vulnerablen Übergang weisen auch Überforderungstendenzen aufgrund von Ausdifferenzierung und Spezifizierung der Berufsstruktur hin, die in eine unübersichtliche Anzahl an wählbaren Berufsoptionen münden (vgl. Behrens et al., 2017: S. 21). In diesem Zusammenhang lässt sich mit Blick auf die Perspektive von Jugendlichen auf eine häufig genutzte Definition für Berufsorientierung des Bundesinstituts für Berufsbildung verweisen:

„Berufsorientierung ist ein Prozess mit zwei Seiten: Auf der einen stehen Jugendliche, die sich selbst orientieren, ihre eigenen Interessen, Kompetenzen und Ziele kennen lernen. Auf der anderen stehen die Anforderungen der Arbeitswelt, auf die hin junge Menschen orientiert werden. Beide Seiten müssen immer wieder neu abgestimmt werden. Angebote der Berufsorientierung unterstützen junge Menschen, diesen Prozess zu meistern“ (BIBB 2020). 


Berufsorientierungsangebote als Bildungsangebote mit Wegweiserfunktion für die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu nutzen und an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen anzuschließen, kann als Lösung betrachtet werden, um Berufsorientierung mehrdimensional zu denken – subjektbezogen und lebensweltorientiert einerseits und rückgekoppelt an die Anforderungen des Arbeitsmarktes andererseits. In diesem Zweischritt aus Lebensweltorientierung und Subjektbezug auf der einen Seite und Arbeitsmarktbezug auf der anderen Seite findet sich die Kommune wieder. Durch die vernetzenden und koordinierenden Funktionen eines DKBM kann sie die unterschiedlichen Perspektiven zusammenbringen und die Öffnung der Berufsorientierung an den lebensweltlichen und damit eben auch räumlichen sowie arbeitsmarktspezifischen Gegebenheiten vor Ort (mit-)gestalten. Die Kommune kann so – ähnlich wie ein Kompass – Orientierung in der Berufsorientierung bieten und über die Vernetzung potentielle (Karriere-)Wege aufzeigen und befördern. Kommunen haben zugleich eine Scharnierfunktion, in dem sie als Landkreise oder kreisfreie Städte sowohl die Arbeitsmarktseite mitdenken können, aber auch den Bezug zu den Bürger:innen herstellen. Anders ausgedrückt: Sie haben den „Rund um Blick“ auf Berufliche Bildung und die Berufswelt vor Ort und können hier spezifische Konzepte vorhalten, um Berufliche Orientierung multidimensional begleitend zu unterstützen. Hier entstehen dann ggf. Synergien, um junge Menschen für den Übergang in den Beruf zu wappnen und an ihren individuellen Interessen anzuknüpfen.

Blickt man nun genauer auf die Jugendlichen und jungen Menschen, dann bietet eine pädagogisch verstandene Berufsorientierung die Gelegenheit, sich mit ihren eigenen Interessen, Wünschen, mit eigenem Wissen und Können zu beschäftigen und gleichzeitig die Möglichkeiten, Bedarfe und An-forderungen der Arbeits- und Berufswelt mitzudenken (vgl. Lippegaus, 2022). Demnach sollte eine pädagogisch orientierte Berufsorientierung, die die subjektbezogene Perspektive mit aufgreift, vornehmlich die Berufswahlkompetenz in den Vordergrund der Arbeit stellen. Driesel-Lange et al. (2010) fokussieren zur Entwicklung dieser Kompetenz die Bereiche Wissen, Motivation und Handlung (siehe Abbildung 1).
Das Berufswahlkompetenzmodell von Driesel-Lange et al. (2010) veranschaulicht dabei, welche Faktoren bei der intrinsischen Wahl des Berufes eine Rolle spielen. Sie hängt mit dem Wissen, welches eine Person über verschiedene Berufsmöglichkeiten erlangt hat (Selbstwissen, Konzeptwissen, Bedingungswissen, Planungs- und Entscheidungswissen) und mit der Motivation der Person einen bestimmten Beruf zu erlangen bzw. sich für diesen Beruf zu interessieren (Betroffenheit, Eigenverantwortung, Offenheit, Zuversicht), zusammen. Die intrinsische Berufswahl ist zudem an konkrete Handlungen geknüpft, die dazu dienen, sich in der Vielzahl der möglichen Berufsoptionen zu orientieren (Exploration, Steuerung, Problemlösen, Stressmanagement). Diese drei Faktoren zusammen-genommen zeigen die Prozesse auf, die in einem Menschen ablaufen, um sich für oder gegen einen Beruf zu entscheiden. Die letztendliche Erreichung eines Berufsziels ist in der Berufsorientierung die letzte Phase innerhalb eines Verlaufsmodells, welches sich durch Einstimmens-, Erkundens- und Entscheidungsprozessen vollzieht. Insgesamt kann das Modell der Berufswahlkompetenz dabei helfen, die (intrinsischen) Prozesse zu verstehen, die während der Berufsorientierung ablaufen und die Teil einer ersten Vorbereitung auf den Eintritt ins Erwerbsleben sein können. Kommunen können dieses Modell demnach als Hintergrundfolie nutzen, um zu eruieren, wie eine qualitativ weiterentwickelte Berufsorientierung gedacht werden kann, die sowohl den Kompetenzerwerb des einzelnen Subjektes (Rückgriff auf den Subjektbezug) in den Mittelpunkt stellt und zugleich an die lebensweltlichen kommunalen Voraussetzungen (Rückgriff auf den Lebensweltbezug) anknüpft.

Um die drei Bereiche Wissen, Motivation und Handlung auch in lebensweltlicher Perspektive mitzudenken, wurde der Prozess der Beruflichen Orientierung schon früh multiperspektivisch und somit als Aufgabe verschiedener Akteur:innen beschrieben und rechtlich fixiert. So wirken - wie später noch genauer zu zeigen sein wird -  neben den jungen Menschen und deren Familien die Schulen, verschiedene Beratungsinstitutionen (bspw. auch der Agenturen für Arbeit) und weitere kommunale außerschulische Partner:innen aktiv im Berufsorientierungsprozess mit (vgl. Brüggemann & Rahn, 2013: S. 14). Kommunen sind angehalten im Sinne einer kleinräumigen Vernetzung Kooperationen zu installieren, die die Ganzheitlichkeit von Berufsorientierung stets betonen. Neben den ab den 1970er Jahren durch die Kultusministerkonferenz erlassenen Beschlüsse für die schulische Berufsorientierung sind in diesem Kontext zusätzlich die Handreichungen und Richtlinien der einzelnen Bundesländer zu nennen (mit befördert durch den Bildungsföderalismus) (vgl. ebd.). In Niedersachsen ist dies beispielsweise der Erlass zur Beruflichen Orientierung an allgemeinbildenden Schulen aus dem Jahr 2018, der verschiedene Maßnahmen benennt.

Die Kommunen können an diese Landesvorgaben anschließend eine Gestaltungsfunktion einnehmen. Sie bringen Akteur:innen in diesem Bereich an einen Tisch, um Angebote und Systeme miteinander abzustimmen und zu harmonisieren. Sie fördern Berufsorientierung, Transparenz und Beratung für Schüler:innen und Eltern sowie ein entsprechendes Monitoring. Vor dem Hintergrund einer ganzheitlichen Betrachtungsweise kann so ein (kommunales) „Gesamtkonzept Berufsorientierung“ entwickelt werden, welches den Subjektbezug als inhaltliche Ausrichtung nutzt und hier die unterschiedlichen Akteur:innen, die für die Berufsorientierung im gesamten Lebensverlauf perspektivisch eine Rolle spielen können, im Rahmen eines Lebensweltbezugs mitdenkt und in den Ausgestaltungen des vor Ort vorherherrschenden Arbeitsmarktes einbezieht.

Wie bereits oben analysiert, sind im ganzheitlichen Prozess der Beruflichen Orientierung viele verschiedene Akteur:innen, wie bspw. die Eltern, die Schulen oder auch Beratungsinstitutionen, involviert. Kommunen können in der Zusammenarbeit mit diesen Personen oder Institutionen wichtige Partner:innen im Bereich der Steuerung und Weiterentwicklung von Berufsorientierungsprozessen finden. Die Einflussmöglichkeiten und Handlungsoptionen der einzelnen Akteur:innen werden nachfolgend skizziert, um einen tiefergehenden Blick auf die jeweilige Bedeutung zu werfen, die den Einzelnen in der Berufsorientierung zukommt. Um die kommunalen Ausgestaltungsmöglichkeiten besonders in den Blick zu nehmen, werden niedersächsische Beispiele herangezogen, die die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteur:innen im Prozess der Beruflichen Orientierung zusätzlich bebildern.

Eltern erweisen sich für Jugendliche und junge Erwachsene im Prozess der Beruflichen Orientierung als zentrale, da stabile und verlässliche Bezugspersonen. Sie stehen – im Idealfall – den Jugendlichen bei dem komplexen Thema der Berufsorientierung beratend zur Seite. Sie unterstützen ihre Kinder in der Phase der Beruflichen Orientierung, indem sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen (impliziten und expliziten) Erwartungen zur Auseinandersetzung und Exploration verschiedener beruflicher Optionen ermutigen. Aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz können sie ihre Kinder darin bestärken (oder ihnen auch davon abraten), eine bestimmte Ausbildung respektive einen bestimmten Beruf zu ergreifen oder einen bestimmten Studiengang aufzunehmen. Sie können ihre Kinder aktiv auf potentielle Berufsfelder und Ausbildungsmöglichkeiten aufmerksam machen, etwa durch Verweise auf offene Lehrstellen oder durch die Recherche möglicher Studiengänge. Zugleich dienen Eltern ihren Kindern als Vorbilder, indem sie ihnen (bewusst oder unbewusst) vorleben, wie sie sich selbst mit der Berufswelt auseinandersetzen. Etwa, indem sie selbst regelmäßig Aus- und Weiterbildungsoptionen wahrnehmen und ihren Kindern dadurch den Mehrwert des Lebenslangen Lernens vor Augen führen (vgl. Neuenschwander, 2013: S. 198ff.). In kommunaler Perspektive ist es hilfreich, die besondere Stellung von Eltern im Bereich der Berufsorientierung anzuerkennen und Konzepte vorzuhalten, die im Bereich der Jugendberufsorientierung auch die Aktivierung des familialen Umfeldes und insbesondere der Eltern mit berücksichtigen.
Eine Kommune, welche sich u.a. mit dieser Akteursperspektive auseinandersetzt, ist der Landkreis Uelzen. Die Berufliche Orientierung ist hier ein Schwerpunktthema der Bildungsregion. Berufliche Orientierung wird als Prozess gedacht, der aus verschiedenen Phasen besteht (Phase der (Selbst)Findung, Phase der Information, Phase der Entscheidung und Phase der Realisierung) und in den verschiedene Akteur:innen (Schule, Eltern und außerschulische Akteur:innen) eingebunden sind. Eltern werden in diesem Kontext besonders betont, sind sie doch „die bedeutsamsten Ansprechpartner bei allen Fragen rund um die Berufswahl und den gelingenden Einstieg in das Berufsleben“ (siehe hierzu Landkreis Uelzen).

Aufgrund der Komplexität der Beratung in Fragen der Berufsorientierung, die sich aus den vielen verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten und sich immer weiter auffächernden Berufsfeldern ergibt, können Eltern nicht immer alleine eine fachkundige Berufsberatung leisten. Bisweilen fühlen sie sich auch nicht kompetent genug, ihre Kinder bei der Berufsorientierung zu begleiten (vgl. Sacher, 2011: S. 11). Als ein weiterer zentraler Akteur erweisen sich daher neben den Eltern auch die allgemeinbildenden Schulen, die Jugendlichen ebenfalls zentrale Orientierungspunkte bei der Beruflichen Orientierung geben. Schulen unterstützen etwa durch Angebote in der Berufsberatung, die den Schüler:innen helfen sollen, eigene Fähigkeiten und Interessen zu identifizieren. Oder sie begleiten den Prozess der Beruflichen Orientierung durch Praktika und Exkursionen, die nicht nur Einblicke in verschiedene Arbeits- und Berufsfelder ermöglichen, sondern auch die Gelegenheit des Kontaktaufbaus zu potentiellen zukünftigen Arbeitgebern eröffnen. Um den Übergang zwischen der Schule in einen Beruf, eine Ausbildung oder ein Studium möglichst erfolgreich zu gestalten, haben sich die Länder für eine curriculare Verankerung der Beruflichen Orientierung in allen Bildungsgängen der Sekundarstufen I und II ausgesprochen. Ausgehend von ihren individuellen Interessen, Kompetenzen und Potenzialen sollen die Schüler:innen – so ein Ziel des Rahmenkonzeptes – „in einem langfristig angelegten Prozess befähigt werden, sich reflektiert, selbstverantwortlich, frei von Klischees und aktiv für ihren weiteren Bildungs- und Berufsweg, vor allem für einen Beruf und damit für eine Ausbildung bzw. ein Studium oder ein Berufsfeld zu entscheiden“ (Kultusministerkonferenz, 2017: S. 2). Berufliche Orientierung wird damit als Aufgabe der Schule definiert. Kommunen können hier allerdings ihre besondere Stellung im Sinne eines ganzheitlichen Denkens nutzen und die Schulen in der Übergangsgestaltung von der Schule in die Ausbildungs- und Arbeitswelt unterstützen.
So widmet sich bspw. der Landkreis Stade unter dem Oberthema „Übergänge gestalten“ u.a. dem vulnerablen Übergang zwischen Schule und Ausbildung/Studium/Beruf und damit verbunden dem Thema der Berufsorientierung. Auf der Seite des Bildungslotsen werden Materialien und Informationen zum Thema zusammengestellt und breit hierzu beraten (siehe hierzu Landkreis Stade).

Neben den Eltern und den allgemeinbildenden Schulen stellen außerschulische Akteur:innen eine weitere wichtige Komponente in der Beruflichen Orientierung dar. Vor allem die Agentur für Arbeit oder auch die Rolle von Betrieben und Unternehmen ist hier zu nennen.
Nach §33 des SGB III hat die Arbeitsagentur den gesetzlichen Auftrag, junge Menschen und Erwachsene bei der Berufsorientierung zu unterstützen. Genauer steht in §33 SGB III:
„Die Agentur für Arbeit hat Berufsorientierung durchzuführen
1. zur Vorbereitung von jungen Menschen und Erwachsenen auf die Berufswahl und
2. zur Unterrichtung der Ausbildungsuchenden, Arbeitsuchenden, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Dabei soll sie umfassend Auskunft und Rat geben zu Fragen der Berufswahl, über die Berufe und ihre Anforderungen und Aussichten, über die Wege und die Förderung der Beruflichen Bildung sowie über beruflich bedeutsame Entwicklungen in den Betrieben, Verwaltungen und auf dem Arbeitsmarkt.“
Zur Erfüllung dieses Auftrages stehen auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit nicht nur Online-Tools zur Eruierung von Stärken und Schwächen und der damit verbundenen Passung auf mögliche Berufsfelder zur Verfügung. Auch können persönliche Berufsberatungsgespräche vereinbart oder die lokalen Berufsinformationszentren (BIZ) besucht werden, die u.a. regionale Informationen zur Studien- und Berufswahl bereithaltet und die Möglichkeit bieten, an Veranstaltungen (wie bspw. Bewerbungstrainings) teilzunehmen. Landkreise und kreisfreie Städte haben durch ihre jahrelangen Vernetzungen mit den Agenturen für Arbeit vor Ort schon gute Kooperationsstrukturen aufgebaut.
In diesem Feld ist auch die MaßArbeit kAöR als Tochtergesellschaft des Landkreises Osnabrück anzusiedeln, die kommunale Arbeitsvermittlung betreibt und die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Bürgergeld-Empfänger:innen in Beschäftigung zu bringen und der Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. In diesem Kontext hält sie Berufsorientierungsangebote im gesamten Lebensverlauf vor (siehe hierzu Landkreis Osnabrück).
Neben der Agentur für Arbeit ist auch der Einbezug von Betrieben und Unternehmen in der Berufsorientierung von zentraler Bedeutung. Praktika in Betrieben und Unternehmen eröffnen die Möglichkeit, frühzeitig Einblicke in die Arbeitswelt zu erhalten und sich mit den Unternehmenskulturen und betrieblichen Anforderungen vertraut zu machen. Auf der einen Seite bieten Praktika (insbesondere für benachteiligte Personengruppen) die Chance, im direkten Kontakt mit dem Unternehmen oder dem Betrieb Vorurteile zu widerlegen, positive Erfahrungen zu machen und zugleich an Selbstwirksamkeitserfahrungen zu gewinnen, um insgesamt die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Übergangs in die Arbeitswelt zu erhöhen (vgl. Deeken & Butz, 2010: S. 32f.). Die wesentliche Wirkung von Betriebspraktika liegt dann in der „Berufswunschkontrolle und der Berufsfindung“ (Beinke, 2013: S. 266) und genauer „in der Verstärkung konkreter Wünsche, in geringem Maße auch auf Abschreckung von vorangegangenen Wünschen.“ (ebd.) Auf der anderen Seite können Betriebe im Rahmen eines Praktikums potentielle Kandidat:innen unverbindlich kennenlernen und zeit- und ressourcenschonend geeignete Bewerber:innen für eine mögliche spätere Anstellung im Unternehmen sichern (vgl. Deeken & Butz, 2010: S. 32f.). Die Kommunen in Niedersachsen können durch ihre vernetzende Mittlerfunktion hier durch Job- und Berufsmessen erste Weichen für interessierte Bürger:innen stellen und sie beim Übergang in einen Betrieb oder ein Unternehmen unterstützen.
Mit seiner Aktion „Ausbildung in der Tasche“ informiert der Landkreis Celle bspw. über die Vielfalt an Ausbildungsplätzen und Berufsfeldern in der Kommune. Diverse Arbeitgeber und Ausbildungsinstitutionen stellen sich vor Ort vor und stehen für einen Austausch zur Verfügung (siehe hierzu Landkreis Celle).

4. Resümee: Berufsorientierung innerhalb einer kommunal-vernetzten Bildungslandschaft

Es wurde deutlich, dass kommunale Berufsorientierung als ganzheitlicher Prozess analysiert und verstanden werden kann, der unterschiedliche Akteur:innen mit einbezieht und dabei gleichzeitig die Bedeutsamkeit der unterschiedlichen Phasen der Berufsorientierung betont. Sichtbar wurde, dass der Übergang von der Schule in den Beruf zwar eine wichtige und zunehmend vulnerable Stelle in diesem Prozess markiert, sich Berufsorientierung aber trotzdem im ganzen Lebensverlauf zeigt und daher nicht unbedingt von Linearität gekennzeichnet ist. Vom Subjekt ausgehend und mit einem Modell der Berufswahlkompetenz verbunden, kann sie durch Kommunen so ausgestaltet werden, dass die Bürger:innen vor Ort befähigt werden, sich im Bereich Ausbildung, Studium und Beruf zu informieren, Abwägungen zu treffen und schlussendlich einen entsprechenden Beruf zu ergreifen. Die Kommune bietet daher nicht nur Orientierung, sie befähigt die Bürger:innen zugleich, sich mit Berufsorientierung auseinanderzusetzen. Der Subjektbezug steht dabei im Mittelpunkt. Dieser wird beeinflusst durch den lebensweltlichen Nahraum auf den bestimmte Akteur:innen, wie das familiale Umfeld, schulische Institutionen oder aber außerschulische Partner:innen, einwirken. Die Beispiele aus Niedersachsen zeigen, dass im Kontext eines kommunalen Bezugs hier innerhalb ihrer bereits etablierten Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen und in ihrer Rolle als unterstützender Informations- und Beratungsinstanz für die Bürgerschaft wichtige Player sind, um Berufliche Orientierung ganzheitlich zu fokussieren. Innerhalb der aufgebauten Strukturen von kommunal-vernetzten Bildungslandschaften können die Kommunen gezielt steuernd agieren und Maßnahmen sowie Angebote vorhalten, die die Berufliche Orientierung in unterschiedlicher Ausgestaltung und an verschiedenen Stellen im Lebensverlauf mit befördert.

Die abschließende Abbildung veranschaulicht dieses Modell, indem sie den Subjekt- und Lebensweltbezug als auch den kommunalen Bezug und ihr jeweiliges Verhältnis im Prozess der kommunalen Berufsorientierung anhand konzentrischer Kreise bebildert. Auch werden die verschiedenen Akteur:innen und die dargestellten niedersächsischen kommunalen Beispiele auf den drei Dimensionen verortet. Zusammenfassend macht die Abbildung nicht nur das multidimensionale Feld der Berufsorientierung deutlich, sondern bietet zugleich Orientierung über die verschiedenen dargestellten dimensionalen Bezüge der Berufsorientierung und die jeweils auf verschiedenen Ebenen verorteten und in den Prozess der Beruflichen Bildung eingebundenen kommunalen Akteur:innen.

Autoren: Niklas Gausmann und Tobias Wittchen, Transfermanagement, Transferagentur Niedersachsen

Behrens, M., Ganß, P. & Schmidt-Koddenberg, A. (2017). Berufsorientierung in einer postmodernen, diversitätsgeprägten Gesellschaft. Ein Beitrag zu einer differenzierten Sicht auf Berufsorientierungsprozesse und berufswahlunterstützenden Maßnahmen. In: Brüggemann, T., Driesel-Lange, K. & Weyer, C. (Hrsg.): Instrumente zur Berufsorientierung. Pädagogische Praxis im wissenschaftlichen Diskurs (S. 21-38). Waxmann Verlag. Münster.
Beinke, L. (2013). Das Betriebspraktikum als Instrument der Berufsorientierung. In: Brüggemann, T. & Rahn, S. (Hrsg.): Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (S. 262-270). Waxmann Ver-lag. Münster, New York, München, Berlin.
Brüggemann, T. & Rahn, S. (2013). Zur Einführung: Der Übergang Schule-Beruf als gesellschaftliche Herausforderung – Entwicklung, rechtliche Verankerung und pädagogischer Auftrag der Berufsorientierung. In: Brüggemann, T. & Rahn, S. (Hrsg.): Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (S. 11-21). Waxmann Verlag. Münster, New York, München, Berlin.
Calmbach, M. & Schleer, C. (2020). Berufsorientierung und „Future Readiness“ Jugendlicher. Eine repräsentative SINUS-Studie zur Sicht der Eltern. Wiesbaden.
Deeken, S. & Butz, B. (2010). Berufsorientierung. Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Expertise im Auftrag des Good Practice Center (GPC) im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Onli-ne unter www.ueberaus.de/wws/bin/21988766-22751134-1-expertise_berufsorientierung_web.pdf.
Driesel-Lange, K., Hany, E., Kracke, B. & Schindler, N. (2010). Berufs- und Studienorientierung. Erfolgreich zur Berufswahl. Ein Orientierungs- und Handlungsmodell für Thüringer Schulen. In: Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Hrsg.): Materialien Nr. 165. Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien. Bad Berka.
Driesel-Lange, K., Weyland, U. & Ziegler, B. (2020). Berufsorientierung in Bewegung. Themen, Erkenntnisse und Perspektiven. In: Driesel-Lange, K., Weyland, U. & Ziegler, B. (Hrsg.): Berufsorientierung in Bewegung. Themen, Erkenntnisse und Perspektiven (S. 7-20). Franz Steiner Verlag. Stuttgart.
Kultusministerkonferenz (2017). Empfehlung zur Beruflichen Orientierung an Schulen (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.12.2017). Online unter: www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2017/2017_12_07-Empfehlung-Berufliche-Orientierung-an-Schulen.pdf.
Lippegaus, P. (2022). Berufsorientierung als Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung –was lehrt uns die Corona-Krise? Vortrag auf dem Kongress Netzwerk Bildung der Transferagentur Niedersachsen (02. und 03.05.2022 in Osnabrück).
Neuenschwander, M. P. (2013). Elternarbeit in der Berufsorientierung. In: Brüggemann, T. & Rahn, S. (Hrsg.): Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (S. 198-210). Waxmann Verlag. Münster, New York, München, Berlin.
Sacher, W. (2011). Eltern im Berufsorientierungsprozess ihrer Kinder und ihre Einbindung durch Elternarbeit. In: Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (Hrsg.): Eltern, Schule und Berufsorientierung. Berufsbezogene Elternarbeit (S. 9-22). Bertelsmann. Bielefeld.